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Caspar David Friedrich – Blick auf Meißen

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Wer seinen Blick an Caspar David Friedrichs Gemälden geschult hat, den mag das Aquarell „Blick auf Meißen“ ein wenig erstaunen. Und in der Tat ist es anders, aber dieses Anderssein ist zu erklären.

Caspar David Friedrichs Gemälde wirken wie gebaut, wir ahnen, dass sie auf etwas jenseits der bloßen Erscheinung verweisen, ohne dass wir gleich sagen könnten, worauf ihre ostentative Anlage zielt. Sie können achsensymmetrisch angeordnet sein, was jede Bewegung stillstellt, sie können durch die Rückenfigur im Bilde zur Kontemplation auffordern, sie können durch die Reduktion ihrer Gegenstände uns fragen lassen, warum Friedrich die Bilder auf der Basis dieses reduzierten Repertoires für darstellungswürdig gehalten hat. Wir erkennen Parabel- und Hyperbelformen in seinen Bildern, messen wir nach, so sind seine Werke sehr weitgehend in den Verhältnissen des Goldenen Schnittes konstruiert. Eine sonderbare Verschränkung von Abstraktem und Konkretem wird spürbar. Die Forschung hat für so gut wie ein jedes Bild Friedrichs festhalten können, dass die Bilder auf der Basis von sorgfältigen zeichnerischen Naturstudien gebaut sind. Alle Gegenstände im Bilde erscheinen naturrichtig, nichts ist dem Zufall überlassen ober bloße Erfindung. Aber die Naturstudien können im Bild aus den verschiedensten Zusammenhängen stammen, sie können gar zu gänzlich unterschiedlichen Zeiten entstanden sein. Das Bild ist aus für sich richtigen Naturpartikeln zusammengesetzt und in eine vom Künstler verfügte abstrakte Bildordnung inseriert worden.

Davon unterscheidet sich das vorliegende Aquarell grundsätzlich, oder genauer: Alle Aquarelle Friedrichs folgen grundsätzlich nicht dem für die Gemälde geschilderten Entwurfsverfahren. Der Grund ist einfach zu benennen: Alle Friedrichschen Aquarelle sind Veduten, vor Ort aufgenommen und in Gänze so belassen. Sie geben die Naturerscheinung wieder, wie sie sich darbietet, die Aquarelle haben im weiteren Sinne Dokumentcharakter.

Friedrich hat als Vedutist begonnen. Bevor er überhaupt in Öl gemalt hat, unternahm er Zeichnungskampagnen, auf Rügen oder in der Sächsischen Schweiz. Die Zeichnungen setzte er zu Hause in zum Teil große anspruchsvolle Sepien um, bis zu einer Größe von einem Meter in der Breite. Damit erhoben sie Gemäldeanspruch, bzw. dienten als Gemäldeersatz. Friedrich folgt hierin der erfolgreichen Schule von Adrian Zingg, der zudem die Sepien in feinsten Tonabstufungen des braunen Grundtons in Druckgraphiken umsetzte und zwar in Umrissradierungen, die in seinem Atelier in Braunabstufungen handkoloriert wurden.

Auch Friedrich war mit seinen Sepiazeichnungen erfolgreich. Gelegentlich ließ er auch schon in seinen Frühphase der zeichnerischen Aufnahme Umsetzungen in Aquarell oder Gouache folgen. Offenbar gab es auch dafür einen Markt. Über sein ganzes Œuvre verstreut gibt es einzelne Aquarellveduten, die bestimmte identifizierbare und als attraktiv empfundene Ansichten wiedergeben. Allerdings ballen sie sich Mitte der 1820er Jahre. 1824/25 fertigte er für einen Zyklus von Rügen-Ansichten gar 37 Aquarelle, wie quellenmäßig überliefert ist.  Einige sind erhalten und folgen sehr weitgehend auf Rügen aufgenommenen Entwurfszeichnungen vom Beginn des Jahrhunderts (Grummt 844-846).

Vor dieser Folie hat das vorliegende Aquarell seinen Ort zu finden. Es war der Forschung bis dato unbekannt, stammt ursprünglich aus sächsischem Privatbesitz und ergänzt eine Gruppe von Meißen-Ansichten auf vorzügliche Weise. Zwei zeichnerische Meißen-Ansichten sind Oktober 1824 datiert (Grummt 860, 861), ihnen lassen sich mit reichlicher Sicherheit weitere Arbeiten aus Meißen zuordnen: eine Zeichnung, ein Aquarell und eine Sepiazeichnung von einem Brückenbogen der Brücke über die Elbe, die nach Meißen hineinführt. Die drei Blätter (Grummt 759-761) sind insofern interessant als sie drei Stufen in Friedrichs Werkprozess zeigen: Die Zeichnung nimmt das Motiv auf, das Aquarell liefert einen farbigen Entwurf, Endprodukt allerdings ist hier eine höchst sorgfältig ausgeführte Sepie. Die Forschung hat feststellen können – und zwar auf Grund der Baugeschichte der Brücke – dass die Gruppe nicht vor 1816 und nicht nach 1828 entstanden sein kann. Insofern sollten diese Zeichnungen im Werkverzeichnis der Zeichnungen besser nicht bei 1816, sondern bei 1824 eingeordnet werden, denn offensichtlich gehören zu Friedrichs Meißen-Besuch von 1824 auch drei Aquarelle zur Klosterruine Heilig Kreuz bei Meißen (Grummt 852-854). So müssen wir uns im Oktober 1824 einen etwas längeren Meißen-Aufenthalt Friedrichs denken, bei dem auch das Aquarell „Blick auf Meißen“ entstanden sein dürfte.

Man wird zu naheliegenden Überlegungen geführt. Friedrich war eng mit dem um einige Jahre jüngeren Georg Friedrich Kersting befreundet. Wie Friedrich, wenn auch zeitverschoben am Anfang des 19. Jahrhunderts, hatte Kersting drei Jahre an der Akademie in Kopenhagen studiert, Friedrich dürfte ihm geraten haben. Und wie Friedrich hatte er sich danach wieder in Dresden niedergelassen. 1810 haben sie eine gemeinsame Riesengebirgswanderung unternommen. 1811 und 1812 hat Kersting Friedrich in zwei höchst programmatischen Gemälden im Atelier bei der Arbeit dargestellt. In den folgenden Freiheitskriegen hat Friedrich Kersting finanziell unterstützt. 1818 wurde Kersting als Malervorstand an die Porzellanmanufaktur in Meißen berufen, auf einen Posten, den er bis zu seinem Lebensende 1847 bekleidete. Bei ihm dürfte Friedrich 1824 gewohnt haben. Und wo war die Porzellanmanufaktur, um die Kersting sich große Verdienste erwarb, zu diesem Zeitpunkt untergebracht? Auf er Albrechtsburg, die das Hauptmotiv des vorliegenden „Blicks auf Meißen“ bildet.

Friedrich hat zur Aufnahme seiner Vedute, deren zeichnerische Bleistiftanlage vor Ort entstanden sein dürfte, am rechten Ufer der Elbe gestanden und aus Südosten auf den Burgberg mit der Albrechtsburg und dem Meißner Dom geschaut. Konventgebäude auf dem Burgplatz, Weinbergstufen am Burghang, vor allem aber die große Brücke über die Elbe und nahsichtige Bebauung am jenseitigen Ufer sind klar erkennbar. Die Schattenführung deutet darauf hin, dass die Aufnahme am Nachmittag erfolgte. Die Formen der Gebäude sind präzise umrissen. Über der dünnen Bleistiftvorzeichnung liegen schwarze Federlinien, gelegentlich offensichtlich mit dem Lineal gezogen. Die umrissenen Formen sind sauber farbig ausgetuscht. Wie bei Friedrich und in der sächsischen Tradition üblich ist die Flächenfarbe einheitlich und zumeist nicht weiter differenziert. Rot, Grün, Ockertöne und ein Graubraun für verschattete Dachpartien herrschen vor. Die Farbe des Wassers der Elbe erscheint sehr dünnflüssig graubläulich angelegt mit leicht farbigen Spiegelungen vom jenseitigen Ufer und von der Brücke. Der Meißner Dom, der hinter der Albrechtsburg aufragt, hat im Westen noch nicht die heutigen großen Türme, die erst im frühen 20. Jahrhundert hinzugefügt wurden. Der höchste Turm, auch zu Friedrichs Zeiten, war der an der Südostseite angebrachte sogenannte Höckrige Turm. Die Albrechtsburg dagegen endet im Osten mit dem sogenannten Wendelstein, den ein blauer Turmhelm ziert. In der Verlängerung des Wendelsteinturmes hat Friedrich zwei grüne, eng beieinander stehende Pappeln angeordnet, offenbar um den Eindruck des abrupten Endes der Albrechtsburg auf steil abfallendem Felsen zu verstärken, wohl ein kleiner künstlerischer Eingriff, wie Friedrich ihn liebt, um Formen mehr Gewicht zu geben. Dies führt zu der bei einer naturgetreuen Vedute nicht ganz leicht zu beantwortenden Frage, was lässt die Zuschreibung des Aquarells an Friedrich so sicher erscheinen – sieht man von kennerschaftlicher Überzeugung ab? Es sind kleine Beobachtungen.

Höchst ungewöhnlich bei einem Aquarell, das gewisse Partien im Vordergrund und am rechten Rand nur andeutet, für Friedrich aber mehrfach gerade in der Meißner Zeit nachzuweisen, ist der scharfe senkrechte Rand der Darstellung an der linken Seite. Sie wirkt hier wie mitten in den Gegenständen abgeschnitten, als wäre hier eine Rahmung zu denken. Offenbar geht es ihm um eine definitive Bildbegrenzung, die bei einer Übertragung des Aquarells in ein anderes Medium zu berücksichtigen ist. Bei vollständig ausgeführten, vollendeten Aquarellen geht die Aquarellierung grundsätzlich bis an den Bildrand, man kann gelegentlich bewusste Beschneidung vermuten. Die Begrenzung macht zusätzlich darauf aufmerksam, dass es sich um einen Entwurf handelt, der weiter zu behandeln ist. Dass es in unserem Falle so ist, wird vollständig klar durch die Tatsache, dass das Blatt quadriert ist. Bei Motiven, die er in ein anderes Medium oder in eine ausführlichere Fassung übertragen will, legt Friedrich häufig Quadrierung an, die die einzelnen Quadrate oben und unten auch nummeriert. Mehrere Zahlen sind schwach am oberen Quadrierungsrand zu erkennen, besonders eine „5“ und eine „6“, obwohl hier am Rand entlang vorsichtig radiert wurde, das Papier erscheint dort um einen Bruchteil heller. Wohl schien die Quadrierung die Darstellung ein wenig zu stören. Die Schriftweise der beiden gut sichtbaren Zahlen und das schwer zu lesende Wort unterhalb der bräunlichen Holzkästen etwa in der Bildmitte am Sandufer der Elbe - man hat „Fischspeicher“ entziffern wollen – entsprechen gänzlich Friedrichs Handschrift.

Bei der zeichnerischen Markierung unterscheidet Friedrich zwischen Architektur und Natur. Architektur wird mit klaren durchlaufenden Linien wiedergegeben, Natur dagegen, vor allem bei Bäumen und Büschen, mit unterbrochenen gestrichelten Linien, damit soll die Natur „lebendig“ bleiben. Das lässt sich besonders am Burghang verfolgen. Und zu guter Letzt sei angemerkt, dass Friedrich nicht über eine lockere Hand beim Zeichnen verfügte, er geht vorsichtig, manchmal zögerlich vor, so dass die Formen im ersten Zugriff manchmal ein wenig ungelenk erscheinen. Hier zeigt sich dies bei den flachen Booten am jenseitigen Ufer, die nur mit dem Bleistift angedeutet sind, also nicht weiter ausgeführt bzw. aquarelliert sind. Man braucht sie nur mit den Zeichnungen der beiden Osloer Skizzenbücher von 1815 und 1818 zu vergleichen, die sehr weitgehend Bootstudien gewidmet sind. Ferner zeigt sich das Phänomen an den Brückenbögen rechts, wo das Aquarell nicht gänzlich zu Ende geführt wurde. Dieses suchende Zeichnen und das Vollendete in der endgültigen Ausführung markieren eine typische Friedrichsche Eigenheit. So lässt sich sagen, das vorliegende Aquarell erweitert unsere Vorstellung von Friedrichs Kunst und fügt sich andererseits vorzüglich in seine sich kurzfristig verdichtende Beschäftigung mit der Vedute in den Jahren 1824 und 1825.

Werner Busch