Lupe

Diandra Donecker über Hannah Höchs neue Realität zwischen Traum und Wirklichkeit.

Hannah Höch
„Modeschau“. 1925/1935. Collage auf farbig grundiertem Papier. 27,7 × 22,8 cm. EUR 100.000–150.000

Los 38, Auktion Ausgewählte Werke am 2. Dezember, 18 Uhr


Ein Spiel mit diversen Rollen – wie Hannah Höch mit ihrer dadaistischen Collage die moderne Weiblichkeit inszeniert

„ich möchte die festen grenzen verwischen, die wir menschen, selbstsicher, um alles uns erreichbare zu ziehen geneigt sind.“

Um diesem künstlerischen Anspruch, wie Hannah Höch ihn im Vorwort des Katalogs zu ihrer ersten Einzelausstellung in der Galerie De Bron 1929 proklamiert, Ausdruck zu verleihen, fand sie in der Fotomontage das ideale Medium. Bis heute scheint diese Technik in ihrer Assoziation untrennbar mit der KünstlerInnenpersönlichkeit Hannah Höch verknüpft und gilt als integraler Bestandteil ihres Œuvres.

Aufgrund ihres Entstehungskontextes in der Berliner Dada-Bewegung, der auch Höch angehörte und die im Vergleich zu den Zentren Zürich, Paris und Köln als besonders politisch und streitbar galt, ist der Fotomontage häufig eine aggressiv-zerstörerische Qualität beigemessen worden. Sich aus den reproduzierbaren Bildquellen der Massenmedien speisend, kam ihr die Position der Anti-Kunst zu.

Hannah Höch, die durch ihre Anstellung als Entwurfszeichnerin beim Ullstein Verlag von 1916 bis 1926 in unmittelbarem Kontakt zu diesen fotografischen Reproduktionen aus aller Welt stand, bewahrte sich als aufmerksame Beobachterin gesellschaftlicher Veränderungen eine kritische Sichtweise auf die propagandistische und plakative Wirkung dieser Medien. Häufig tritt mit dem Kontrast des Trennenden in ihren Fotomontagen erst das Verbindende erkennbar hervor, eine Beobachtung, die sich auch für ihr Werk „Modeschau“ feststellen lässt:

Aufgereiht wie zum Defilee erscheinen die drei hochgeschlossenen, engkorsettierten Kleidersilhouetten, die Hannah Höch im Bildzentrum ihrer Fotomontage „Modeschau“ positioniert. Entgegen jeder hierdurch geweckten Erwartung von mondäner Couture der 1920er-Jahre wählt die Künstlerin die dreifache Wiederholung des gleichen, steifen Modells: ein breiter, schulterbedeckender Spitzenkragen, verbunden allein durch die schmal geschnürte Taille mit dem glockengleichen Reifrock im Stile der Frauenmode des wilhelminischen Kaiserreichs. Handlungsunfähig, ohne Hände oder Füße, stehen die Roben sinnbildhaft für diese, im Berlin der 1920er-Jahre vermeidlich überkommen geglaubte Epoche. Doch sie werfen lange Schatten, diese Kleider. Und auch die brückengleiche Konstruktion, über die Hannah Höch sie platziert, wirkt wenig robust und weist sogar Fehlstellen mit nicht eindeutiger Falltiefe auf. Ein Spießrutenlauf anstelle eines Runways.

Lediglich ihrer Hüte haben die drei Figuren sich entledigt. Diese liegen am Boden vor ihren marionettenhaft anmutenden Kleidern. Sie mussten weichen, denn die Köpfe, die Hannah Höch unmittelbar auf ihre Schultern montierte, sprießen nur so vor Vielfalt: Überdimensional und aus Bildausschnitten von Gesichtern hellem wie dunklem Inkarnats sowie westlicher als auch östlicher Physiognomie konstruiert, überwiegt zunächst der Eindruck des Fragmentarischen. Doch bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass mindestens ein Auge jeder dieser Figuren die unseren sucht. Der Blick des Kopfelements der linken Figur im Antlitz der Reproduktion von Sandro Botticellis Gemälde „Die Geburt der Venus“, welches unserer durch westliche Ikonografie geprägten Wahrnehmung wohl am vertrautesten in dieser Komposition erscheinen mag, entzieht sich jedoch. Denn entgegen des für die Renaissance propagierten Ideals des befreiten Individuums, entsprach der gesenkte oder abgewandte Blick im Frauenporträt dem decorum des ausgehenden Quatrocentos und galt als Zeichen von Bescheidenheit, Sittsamkeit und Gehorsam (Simons, Patricia: Women in Frames: The Gaze, the Eye, the Profile, in: Renaissance Portraiture, in: History Workshop. Nr. 25 (1988), S. 20-21).

Im Kontrast hierzu steht das den Betrachter unverwandt anblickende, über die rechte Gesichtshälfte der Venus collagierte Auge, welches Maria Makela als der „Neuen Frau“ zugehörig identifiziert (Makela, Maria: MODENSCHAU (Fashion Show) 1925–1935, in: The Photomontages of Hannah Höch, Ausst.-Kat. Minneapolis 1996, hrsg. von Peter Boswell. Minneapolis: Walker Art Center 1996, S. 110). Dieses Sinnbild vermeintlich politischer, finanzieller und sexueller Emanzipation der Frau in der Weimarer Republik gab sich zumeist mit leger-burschikoser Kleidung, dem charakteristischen Bubikopf und auffälligem Make-up zu erkennen. Gefangen im engen Korsett der gesellschaftlichen Normen und Ideale ihrer Zeit, eint Hannah Höchs Fotomontage zeitlose Tugend mit illusorischem Fortschrittsglauben in ihrer durch undifferenzierte Betrachtung verursachten Stagnation.

Unterhalb des Bildträgers der Fotomontage „Modeschau“ ist von der Künstlerin „Zeit unbestimmt“ hinzugefügt worden. Eine zeitliche Eingrenzung nimmt sie mit der Angabe „25 - 1935“ anschließend dennoch vor. Innerhalb dieses Zeitraums entstand auch die heute wohl bekannteste Serie Höchs: „Aus einem Ethnografischen Museum“ lautet der Titel dieses etwa zwanzig bis dreißig Fotomontagen umfassenden Werkkorpus. Zwar ist die Fotomontage „Modeschau“ nicht wie einige der Werke aus dieser Serie mit eben diesem Titel bezeichnet, jedoch lassen sich die zuvor beschriebenen Bildelemente und der kompositorische Aufbau in diesem Schaffenskontext verorten. Die Verbindungen der Fotoausschnitte von westlichen Bildmotiven mit denen außereuropäischer Kulturen erzielen in der von Höch gewählten Komposition eine vielmehr konstruktive Wirkung, deren visuelle, gesellschaftskritische Aussage in diesem Kontrast an affirmativer Qualität gewinnt.

Wenngleich Hannah Höch sich persönlich nie eindeutig feministisch positionierte, so wird in „Modeschau“ ihre Kritik an vorherrschenden eindimensionalen Geschlechterrollen offenkundig.

Wie eine Seismografin ihrer Zeit schneidet Hannah Höch entlang der Gesellschaftsgrenzen, nur um diese anschließend im Medium der Fotomontage mit neuer Perspektive zu vereinen.

Die Fotomontage „Modeschau“ steht wie ein bildgewordenes Manifest für diese künstlerische Könnerschaft Hannah Höchs und hat bis heute, annähernd 100 Jahre nach ihrer Entstehung, nicht an Aktualität verloren.

Lara Viktoria Rath