Lupe

Erinnerungen an Christopher Wools Berliner Zeit mit Friedrich Meschede, Kunsthistoriker und Kurator.

Christopher Wool
Ohne Titel (D 64). 1998. Alkyd auf Reispapier. 167 × 120 cm. EUR 300.000–400.000

Los 2, Auktion Ausgewählte Werke am 2. Dezember, 18 Uhr

Die hier aufgerufene Arbeit auf Papier von 1998 markiert einen wichtigen Wendepunkt im Werk von Christopher Wool, weg von den „word paintings“, um sich einem ausschließlich malerischen Werk zu widmen. Wir erkennen einen Grund, der durch die schwarzen floralen Bildmuster angelegt ist. Dieser wird jedoch nun mittels gestisch aufgetragener Weißflächen teilweise übermalt, es erscheint eine zweite Malfläche über dem neutral angelegten Grund. Als erste und ganz wesentliche Veränderung ist auszumachen, dass Christopher Wool hier eine „handschriftliche“ Malgeste zulässt, ja vorsätzlich einsetzt, um das zuvor Angelegte, Anonym-Serielle zu konterkarieren. Aus heutiger Sicht wissen wir, dass ab der Jahrtausendwende ausschließlich Gemälde entstehen werden, die in Verwendung einer sehr reduzierten Farbigkeit zwischen Schwarz und Weiß ein Grau ausloten und der Umgang mit extrem verdünnter Farbe nahezu den Eindruck eines großformatigen Aquarells evoziert.

In ihrem malerischen Anliegen lässt die großformatige Zeichnung den Betrachter teilhaben an dem künstlerischen Versuch Christopher Wools, sich in dieser Zeit etwas Neuem zuzuwenden. Dass bereits diese Experimente ihm bildwürdig erscheinen, verkörpert nicht zuletzt das Format der Papierarbeit. Die Größe des Blattes geht über das Format einer Skizze oder Studie hinaus und ist damit auch der Ausdruck des Anspruchs, dass diese künstlerische Entwicklung Zeugen haben soll, in Gestalt dieser Arbeit – und vergleichbarer anderer aus diesem Jahr. Zudem benutzt Christopher Wool in dieser Zeit sehr feines Japanpapier, das in dieser Bestimmung als Malgrund Ausdruck von Exklusivität und Fragilität zugleich ist. Sowohl im Malerisch-Gestischen der Übermalung, die selbst Malerei sein will, als auch im Wechsel von Erinnerung an das Vormalige, das in der Transparenz der Übermalung sichtbar bleibt, lässt Christopher Wool den Betrachter teilhaben an seiner Bildfindung. Vor diesem Hintergrund darf man diese großformatige Zeichnung verstehen als Einblick in das Atelier des Malers. Darin liegt ihre Besonderheit und Bedeutung.

Christopher Wools Werke der frühen achtziger Jahre entnehmen ihr Motiv einer gängigen Aufwertungspraxis von New Yorker Immobilienmaklern. Er hatte beobachtet, dass Eingangsbereiche von Häusern kurzfristig „verschönert“ wurden, indem Anstreicher Muster auf Wände auftrugen, die mittels einer hölzernen Rolle erzeugt wurden und in denen einfache florale oder abstrakte Dekors eingraviert waren; so etwas konnte man in den Bedarfsläden der Canal Street erwerben. Christopher Wool nutzte diese Rollenmuster für seine Zwecke und schuf Gemälde, die wie großformatige Holzschnitte erscheinen. Die von ihm dafür verwendete Farbe wird als Alkydharz bezeichnet und besitzt die Eigenschaft, schnell zu trocknen und eine lackiert erscheinende Oberfläche zu erzielen, ein Farbeffekt, der zum Stilmittel des Woolschen Œvres geworden ist. Die Verwendung dieser Muster erzeugt einen All-over-Effekt, der an die Prinzipien des amerikanischen abstrakten Expressionismus anschließt, in der seriellen Regelhaftigkeit dieser Binnenmotive aber auch Konzepte der vorangegangenen Minimal-Art einbindet und reflektiert. Sich wiederholende Ornamente bestimmen die Bildfläche, sie suggerieren die Vervielfältigung als Möglichkeit und bleiben doch individuelle Unikate.

Bekannt wurde Christopher Wool zu Beginn der 1990er-Jahre durch Gemälde mit großformatigen Buchstaben, die Worte der amerikanischen Sprache visualisieren. Dem vertrauten Schriftbild von schwarzer Schrift auf weißem Grund entsprechend, waren die Worte wie Schablonen von Buchstaben plakativ angelegt. Einzelne Worte und Textzitate wurden zu einem unverkennbaren Stilmittel seiner Gemälde, die 2013 in seiner Retrospektive im Guggenheim Museum in New York eindrucksvoll zusammengeführt waren. Nach diesem Prinzip hat Christopher Wool das bis heute verwendete Logo D A / AD nach seinem Stipendienjahr 1993 gestaltet.

Friedrich Meschede