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Erfahren Sie mehr über Beckmanns wiederentdecktes Meisterwerk

Max Beckmann
„Badende mit grüner Kabine und Schiffern mit roten Hosen“. 1934. Öl auf Leinwand. 80 x 60 cm. EUR 1.000.000–1.500.000

Los 9, Auktion Ausgewählte Werke am 2. Dezember, 18 Uhr

 

Uwe M. Schneede über das Werk

Wenn Max Beckmann alljährlich seine Urlaubsreisen an italienische, französische oder niederländische Küsten unternahm, blieben davon Bilder, inhaltsreiche Bilder, die der Geschichte der Landschaftsmalerei ganz neue Perspektiven hinzufügten.[i] Wenn sie auch nicht vor Ort entstanden, sondern ihre bildnerische Verdichtung erst im heimischen Atelier erfuhren („Malen kann ich doch nur zu Hause“[ii]), sind sie gleichwohl geprägt von den fremden Eindrücken am Meer, an der Adria (Pirano, Rimini), an der italienischen Riviera (Viareggio, Spotorno), an der Côte d’Azur (Cap Martin, Saint-Cyr-sur-Mer, Bandol) oder an der holländischen Küste (Scheveningen, Zandvoort).

Zandvoort, etwa 30 Kilometer westlich von Amsterdam, war seit 1934 Beckmanns bevorzugter Erholungsort, nicht zuletzt in der Zeit des Exils seit 1937. Nach der Befreiung der Niederlande notierte er 1946 im Tagebuch: „War in Zandvoort und zu Fuß nach Overveen, ziemlich anstrengend, aber das Meer war wieder Meer und sagte guten Tag Herr Beckmann“[iii] – eine Anspielung auf die vorausgegangenen Zugangssperren während der nationalsozialistischen Besetzung des Landes wegen der in Meeresnähe zu errichtenden Wehrbauten.

Nachdem Beckmann von den neuen Machthabern aus seinem Lehramt an der Frankfurter Städelschule entlassen worden war, zog er, der nun als verfemt galt, noch 1933 mit seiner Frau Mathilde nach Berlin um. Im Jahr darauf entstand das Gemälde „Badende mit grüner Kabine und Schiffern mit roten Hosen“ im Zusammenhang mit einem Ferienaufenthalt in Zandvoort, wie oben im Bild mitsamt dem Datum 1. Juli 34 vermerkt ist. Eine vermutlich vor Ort entstandene Bleistiftskizze zeigt die Motive mit knappen Farbangaben[iv]. Im Gemälde schaut man von einem erhöhten Standpunkt auf den Strand mit Badekabine, Boot, Schiffern und auf das Meer mit Badenden; der hochgeklappte Horizont mit Dampfschiff obenauf senkt sich wie eine Riesenwelle nach rechts; im Vordergrund angeschnitten zwei Sitzlehnen und ein Terrassengeländer.

Das für Landschaften nicht sehr übliche, aber von Beckmann dennoch gelegentlich dezidiert eingesetzte Hochformat erlaubte die Staffelung und damit Steigerung der Zonen Terrasse, Strand und Meer und machte dank eines Maßstabwechsels die Überhöhung der Badekabine möglich, die so zu einem mächtigen Fremdkörper wurde. Gleichzeitig erlaubte das Hochformat die Längenbetonung der beiden im Vordergrund aufragenden Masten mit ihren Flaggen, nach deren Bedeutung folglich zu fragen ist.

Zunächst wird das Bild durch den formalen Kontrast der kubischen Kabine und des längsovalen Bootes mit dem quirligen Meer und zugleich durch die farbige Korrespondenz zwischen den beiden grünen und weißen Objekten und dem grün-weißen Meer bestimmt. Die Schiffer sind darüber zum (allerdings durch die gespreizten roten Hosenbeine auffälligen) Beiwerk geworden.

Seit Mitte der 1920er-Jahre rückte Beckmann die pure Landschaftsansicht durch Vorbauten in die Distanz. Angeschnittene Motive unmittelbar im Vordergrund – Balkongitter oder Terrassenbrüstung, Fensterrahmen oder Badekabinenöffnung, Schiffsluke oder offene Tür – bilden Barrieren vor dem Motiv und machen zugleich, wie in diesem Bild, Mitteilung über den Standort des Malers. Sie heben damit seinen persönlichen Blick hervor. Kein generelles Naturerlebnis ist wiedergegeben, sondern ausdrücklich eine persönliche Ansicht. Sie ist mit einer dramaturgisch und malerisch einzigartigen Souveränität und Freiheit der Gestaltung realisiert.

Dem bestimmten festen Standort des Malers ist in diesem Bild ein schräger, aus dem Lot geratener Horizont entgegengestellt, der irritierend auf die gesamten Verhältnisse einwirkt. Das Meer ist hier nicht, wie oft bei Beckmann, durch gewaltige Wellen bedrohlich, nicht die Natur ist beunruhigend, sondern die vom Maler gewollt eingesetzte bildnerische Anlage. Zumal durch das Hochformat und die übergroße Kabine bekommt das Bild zusätzlich zum schiefen Horizont etwas unausweichlich Bedrohliches, und die Stuhllehnen im Vordergrund haben etwas Aufsehermäßiges. Es fehlt gänzlich die Leichtigkeit einer sommerlichen Ferienstimmung. Man lebt in unsicheren Zeiten.

Die Situation ist genau geortet und datiert: Zandvoort, 1. Juli 1934. Aber nicht nur der Badeort ist im Bild angegeben, sondern auch das Land, in dem er liegt. Denn die orange Flagge zeigt die Oranier und die Niederlande an. Hier, im Jahr 1934, ist sie angesichts der Verfolgungen zu Haus in Deutschland ein unübersehbarer Hinweis auf das freie Land. Die Flagge wird bei Beckmann während der nationalsozialistischen Besatzung des Landes noch deutlicher politische Bedeutung annehmen, etwa in den „Möwen in Sturm“ von 1942, wo der offiziellen niederländischen Flagge im oberen Feld, das eigentlich rot zu sein hat, augenfällig ein Orange aufgesetzt ist, also die Farbe des emigrierten Königshauses und des niederländischen Widerstands.

Aber warum hat der Künstler das Werk auf den Tag genau datiert, was er in diesen Jahren ansonsten nie tat? Weshalb wollte dieser Tag auf Dauer festgehalten werden? Das Bild wurde nach dem Zeugnis von Mathilde Beckmann später in Berlin fertiggestellt[v], aber es ist auf den 1. Juli datiert. Da hielten sich die beiden Beckmanns in Zandvoort auf. Bei dieser Gelegenheit entstanden am Strandweg einige Fotos von ihnen, aber auch von Hedda Schoonderbeek.[vi] Hedda Schoonderbeek, ausgebildete Bildhauerin, war die Schwester von Mathilde Beckmann; seit Ende der 20er-Jahre lebte sie in Amsterdam.

Max Beckmann erkundete in diesem Jahr 1934, weil er sich der politischen Bedrohungen in Deutschland bewusst war, auf Reisen nach Paris und in die Schweiz bei Freunden die Möglichkeiten einer Emigration. Müssen die beiden daher nicht auch am Strand von Zandvoort mit der Schwester und Schwägerin besprochen haben, wie es weitergehen könnte, etwa in den freien Niederlanden? Drei Jahre nach Entstehung dieses Gemäldes, 1937, sollten die Beckmanns unter Mithilfe von Hedda Schoonderbeek tatsächlich nach Amsterdam emigrieren.

Könnte es sein, dass Beckmann das Bild wegen der schwerwiegenden Gespräche so genau datiert hat? Seine Tagebücher aus dieser Zeit vernichtete er sicherheitshalber, als die deutsche Wehrmacht die Niederlande 1940 besetzten, und in den Briefen äußerte er sich nicht politisch. Im Gemälde konnte ein Hinweis auf entscheidende Zukunftsabsichten kaum wahrnehmbar angebracht, verborgen werden.


[i] Siehe Jutta Hülsewig-Johnen, „Magie der Realität“. Max Beckmanns Erneuerung der Landschaftsmalerei, sowie Uwe M. Schneede, Konstruktion einer „neuen Realität“. Max Beckmanns Bildmittel in: Max Beckmann. Landschaft als Fremde, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle / Verlag Gerd Hatje 1998.

[ii] Brief vom Juli 1924 aus Italien, in: Max Beckmann. Briefe, hrsg. von Klaus Gallwitz, Uwe M. Schneede und Stephan von Wiese, München 1993, Bd. I, S. 251.

[iii] Tagebuch, Amsterdam, 6. Februar 1946, in: Max Beckmann, Tagebücher 1940-1950, zusammengestellt von Mathilde Q. Beckmann, München 1984, S. 153.

[iv] Christiane Zeiller, Max Beckmann. Die Skizzenbücher, Bd. II, Ostfildern 2010, S. 816 (4r).

[v] www-Beckmann-Gemaelde.org, Nr. 400.

[vi] Abgebildet in: Briefe, Bd. II, S. 242. Die Fotos sind nach freundlicher Auskunft des Max Beckmann Archivs in München / Christiane Zeiller pauschal auf Juni/Juli 1934 datiert.