Lupe

Erfahren Sie mehr über ein Hauptwerk des Künstlers Heinrich Maria Davringhausen

Heinrich Maria Davringhausen
„Der Dichter Däubler“. 1917. Öl auf Leinwand. 180 x 161 cm. EUR 300.000–400.000

Los 17, Auktion Ausgewählte Werke am 2. Dezember, 18 Uhr

 

Ekstasen eines Wanderpredigers – wie Heinrich Maria Davringhausen den Dichter Theodor Däubler sah

Was für ein Bildnis! Da sitzt eine dämonische Gestalt überlebensgroß, schlecht-hin weltbeherrschend inmitten einer exotischen Landschaft mit Meeresbuchten und Palmenwäldern, vor mineralisch leuchtenden Bergesketten, in denen sich Großstädte en miniature verstecken, und unter einem Nachthimmel, dekoriert mit Sonne, Mond und Kometenschweif. Bei derartig majestätischer Pose erwartet man einen Thron. Aber die Figur sitzt auf einem kleinen Stuhl und liest aus einem Büchlein vor, die rechte Hand zur Deklamation erhoben. Worum es bei dieser Rede geht, das kann der Betrachter erraten auch ohne jede Kenntnis des literarischen Werkes von Theodor Däubler: Sein Gewand glüht feuerrot, und die Gluthitze hat auch das Antlitz von innen erfasst, sodass sogar die Augen rot schimmern. Nur die Sonne besteht aus solcher Dauerglut – und die Sonne ist es denn auch, deren Macht und Geheimnis das Zentrum von Däublers Poesie ist. Einst wird sie sich mit der Erde zu einer neuen Welt vereinigen; das ist die Idee von Däublers Kosmogonie. Freilich hat Davringhausens Bild, schaut man es nur genau an, nicht das Geringste mit wärmendem Sonnenschein zu tun. Man sieht es der unheimlichen Beleuchtung des Gemäldes an, dass es auf dem Höhepunkt eines apokalyptischen, von Detonationen bengalisch erhellten Krieges entstanden ist. Den Maler wie sein Modell hatte es kurz zuvor in die deutsche Hauptstadt mit ihrer brodelnden Avantgarde verschlagen. Dort hatte der Krieg mit seiner Entfesselung von vorher nie geahnten Destruktionskräften ästhetische Eruptionen ausgelöst und Sprache und Bilder ins Taumeln gebracht, hatte utopische Visionen wie krasse Detailsichten stimuliert. Der Name „Expressionismus“ für die Grenzüberschreitungen und Revolutionen war dafür nicht viel mehr als ein allgemein akzeptierter Notbehelf. Davringhausen hatte sich eben noch mit den Methoden des Kubismus vertraut gemacht. Jetzt, im Hexenkessel Berlin, wo er die Rebellen George Grosz und die Gebrüder Herzfelde (Heartfield) zu Freunden bekam, die mit „primitiven“ Gestaltungen experimentierten, wurde er über Nacht zum Pionier einer Malerei, die man bald „magischen Realismus“ nennen würde. Das Bildnis Däublers ist zugleich der Durchbruch dieses Stils wie auch schon sein erster Höhepunkt.

Wer war Theodor Däubler? Dass seine Berühmtheit als „Gestalt“ in krassem Gegensatz zu den geringen Kenntnissen steht, die man von seinen Texten hat, war zu seinen Lebzeiten nicht anders als heute. Däubler ist früh eine Legende, ein Mythos gewesen. Eigentlich der Generation der großen bürgerlichen Literaten wie Thomas und Heinrich Mann zugehörig, wählte er von Anfang an die Existenz eines krassen Außenseiters, verweigerte alle Anpassungen an die Gesetze des literarischen Marktes und schlug sich als eine Art von Wanderprediger, Bettel-mönch oder auch Troubadour durch – fast pausenlos auf Reisen durch ganz Europa, durch Italien und Griechenland, und den Nahen Osten. Veröffentlicht wurde er nur unregelmäßig. Sein Hauptwerk ist ein immer wieder überarbeiteter, 30.000 Gedichtverse umfassender Text, den er „Das Nordlicht“ nannte – kein klassisches Epos, sondern eine wuchernde Gedicht-Collage, die sich aller Stilformen bediente, von traditonellen Versen über die Spekulationen des Symbolismus bis hin zu den Ekstasen des Expressionismus.

1876 im k.u.k. Triest als Sohn eines deutschen Kaufmanns geboren, machte Däubler eine unglückliche Schullaufbahn, wo sich notorisches Schulschwänzen mit exzessiver Lektüre der griechisch-römischen Klassiker und der Zeitgenossen wie d'Annunzio, Strindberg oder Ibsen vermischte. Zwischenspiel als Schiffsjunge auf einem Mittelmeerdampfer, nach Irrungen und Wirrungen italienisches Abitur, Militärdienst, psychische Erkrankung. Danach von der Familie finanzierte Italien-reisen. Erwachender, brennender, von Anbeginn auf ein ganz großes Werk zielender literarischer Ehrgeiz: eine alle Zeiten und Kulturen umfassende mystische Weltschau, getragen vom Sonnenmythos: „Nordlicht“.

Bettelarm übersiedelt er 1901 nach Paris, wo er bis 1906 bleibt. Er schläft unter Brücken, hungert, wird aber in den Bohemecafés schnell prominent als hinreißender, enzyklopädisch gebildeter Gesprächskünstler. Paris vibriert damals von der modernen Kunst, Däubler wirft sich hinein und macht die Runde in den Ateliers, lernt Picasso und Matisse kennen und vertieft sich gründlich in das Werk Cézannes. Er wird intimer Kenner der internationalen Avantgarde, die in Paris lebt. Jetzt schon formt sich sein lebenslang unverändertes Image: der massige, langhaarige und langbärtige Polyhistor, der in abgerissener Kleidung in jedweder Gesellschaft erscheint und selbstbewusst seine Zuhörer in Bann zieht, in stolzer Verachtung seiner offenkundigen Armut. Was er dabei verbirgt, das ist sein Leiden an unerfüllter Liebessehnsucht. Das „Nordlicht“ handelt an unzähligen Stellen von sexuellen Beziehungen, die freilich versteckt sind hinter mythologischen Kostümen und Kulissen. Erst sehr viel später wird er sich dazu durchringen, seine Homosexualität anzuerkennen.

Im Ersten Weltkrieg hielt Däubler Abstand zum Hurrapatriotismus vieler Künstler, ebenso freilich zur aktiven Kriegsgegnerschaft der Expressionisten. Die panische Angst, eingezogen zu werden, erfüllte sich nicht. Weit weg von der Front lebte er die Kriegsjahre in Dresden und Berlin, wo ihn ein Kreis zukunftshungriger Intellektueller und Künstler freundlich aufnahm: Franz Pfempfert, Herwart Walden, Gottfried Benn, Else Lasker-Schüler, die Brüder Herzfelde/Heartfield, George Grosz, Harry Graf Kessler – und eben auch Heinrich Maria Davringhausen. 1917 erschien „Sternen-kind“, eine Gedichtsammlung, die Däublers einziger Verkaufserfolg wurde. Seit 1914 schrieb er, mit Picasso beginnend, über die Avantgarde in den bildenden Künsten. „Der neue Standpunkt“ heißt sein Buch von 1916, in dem er Munch, Bar-lach, Lehmbruck, Matisse, Rousseau, Chagall, Picasso und Franz Marc, Ludwig Meidner, alles Künstler, die er persönlich kannte, zu Epochengestaltern erhebt. Von heute aus gesehen ist der Kunstbeschwörer Däubler mindestens so bedeutend wie der lyrische Kosmiker des „Nordlichts“. So hat er zum Beispiel als Erster auf die Bedeutung von George Grosz hingewiesen.

1919, als Österreich Triest verlor, musste Däubler optieren, wohin er in Zukunft gehören wollte. Er entschied sich gegen Deutschland und wurde Italiener. Seine wirkliche Heimat aber wurde nun der Traum von der Mittelmeer-Antike. 1921–1925 ermöglichten Mäzene, Verlage und Stiftungen einen Aufenthalt in Griechenland, das er systematisch durchwanderte. Auch nach Palästina, Syrien und Konstantinopel reiste er weiter. Jetzt endlich, im „hellenischen“ Licht, fand er den Mut zu einer leidenschaftlichen Beziehung zu einem jüngeren Freund, dem Maler Lukas Peterich. Literarisch waren die Reisejahre ein katastrophaler Fehl-schlag; Däubler hat das große Griechenlandbuch, das er seinen Geldgebern versprochen hatte, nie geschrieben.

Dennoch fielen ihm im Laufe der 20er-Jahre gleichsam von selbst Ehrungen zu, die er allein seinem ungebrochenen Nimbus verdankte. Man schlug ihn für den Nobelpreis vor, er wurde deutscher P.E.N-Club-Präsident. 1928 berief man ihn in die Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste. Sogar eine Audienz beim Papst fügte sich ins versöhnliche Schlussbild. Gestorben ist er 1934 an einer Tuberkulose, mit der er sich wahrscheinlich in Griechenland bei seinem Geliebten Lukas Peterich angesteckt hatte. Wenn das stimmt, dann hat diese Nachbarschaft von Eros und Thanatos gut zu Däublers lebenslangem Graben im antiken Mythengrund gepasst.

Mit Däublers Tod geriet die enttäuschende Schlussphase seines Lebens schnell in Vergessenheit, wie überhaupt seine Texte. Was blieb, das waren vor allem Anekdoten rund um seine unvergessliche Physiognomie: Wenn er auf Capri oder in Griechenland spazieren ging, sollen die Kinder zusammengelaufen sein, um ihm die Hände zu küssen, weil sie glaubten, sie seien dem lieben Gott begegnet.   

   

Zu Heinrich Maria Davringhausen

So wie Theodor Däubler ist auch der aus dem Rheinland stammende Heinrich Maria Davringhausen in den Jahren 1915 bis 1917 Teil der intellektuellen künstlerischen Avantgarde in Berlin. Auch er gehört zum Kreis um die Brüder Herzfelde/Heartfield, George Grosz, Else Lasker-Schüler und Gottfried Benn, die alle „Etwas“ gegen den Krieg tun wollen. Die Zeitschrift „Die Neue Jugend“, im Juli 1916 zum ersten Mal herausgebracht, wird zu ihrem Organ Davringhausen und Däubler zu ihren wichtigsten Mitarbeitern. Nach dem Ersten Weltkrieg wird Davringhausen Mitglied der Berliner „Novembergruppe“ und der in Düsseldorf gegründeten Vereinigung „Junges Rheinland“. 1918 über-siedelt er nach München, wo er wenig später zusammen mit Alexander Kanoldt, Georg Schrimpf und Carlo Mense die Gruppe der Münchner Neuen Sachlichkeit verkörpert.

Unser Gemälde, eines der Hauptwerke Davringhausens, entsteht im Januar 1917 in Berlin und zeigt ein glühendes, kongeniales Bildnis des Dichterfreundes Theodor Däubler, der von seinen Künstlerkollegen auch liebevoll „unrasierter Buddha“ genannt wurde. Davringhausen schöpft aus einer Fülle künstlerischer Anregungen wie den Gemälden der Expressionisten und Futuristen, Werken der Volkskunst und des naiven Malers Henri Rousseau, die in den Publikationen „Der Sturm“ und „Der Blaue Reiter“ veröffentlicht werden. Der Künstler entwickelt hier einen eigenwilligen, individuellen Stil, der ihn zu einem visionären Wegbereiter des Magischen Realismus macht.

Christoph Stölzl