Lupe

Nie ist Menzel französischer als in seinen Pastellen um 1850, nie persönlicher als in den Bildnissen seiner Schwester. Es ist hinreißend, wie er hier mit der Pastellkreide ein Bild reiner Anmut und größter Intimität erzeugt.

 

Was Adolph Menzel Bildnis der„Emilie“ zu einem Meisterwerk macht

 

Niemanden hat Menzel so oft dargestellt, wie seine Schwester. Sie war die Person, die ihm nach dem Tod seiner Mutter am nächsten stand und die ihn, den Kleinwüchsigen, Zeit seines Lebens umsorgt hat, auch nach ihrer Heirat. In Gemälden, Pastellen und Zeichnungen, selbst in der Druckgraphik taucht sie auf. Sie ist mit Zuneigung gesehen, dient ihm aber auch als Modell für größere Arbeiten, etwa beim berühmten „Flötenkonzert“. Es existiert eine Reihe von Pastellen, auf denen sie alleine dargestellt ist. Die Forschung, das schlägt sich schon in der Betitelung nieder, ist sich unsicher, welchen Status sie haben. So ist das hier angebotene Pastell vom Vorbesitzer „Kostümstudie einer Sitzenden, Menzels Schwester Emilie“ benannt worden. Ja und nein. Um zu verstehen, welche Bedeutung Menzel einem derartigen Blatt beigemessen hat, gilt es etwas weiter auszuholen. Zu beantworten sind die Fragen, warum Menzel das Medium Pastell wählt, warum er es primär auf bräunlichem Papier zur Anwendung bringt, welchen Themen es dient und für wen Derartiges gedacht sein konnte.

Pastelle waren besonders im französischen 18. Jahrhundert beliebt. Spezialisten wie Maurice Quentin de la Tour oder Jean-Étienne Liotard widmeten sich primär dieser Technik, doch auch für Watteau spielte sie eine wichtige Rolle, bei ihm allerdings in einer besonderen Form, die die Franzosen „aux Trois crayons“ nennen, Pastelle, entstanden allein aus drei Kreiden: weiß, schwarz und rot. Das sind zweifellos auch die Farben, die auf Menzels Pastell vorherrschen. Es ist schwer zu sagen, ob Menzel Pastelle von Watteau im Original gesehen haben kann, sein Name wird in Menzels Briefen nicht genannt. Doch ist dies auch nicht nötig: Denn Pastelle in „Trois Crayons“-Technik konnten im 18. Jahrhundert im Dreifarbendruck reproduziert werden, nach Boucher, Watteau oder van Loo in sogenannter Kreidemanier, einer neu erfundenen druckgraphischen Technik. Eine andere Quelle allerdings scheint für Menzel wahrscheinlicher: Der große Vorläufer für die „Trois Crayons“-Technik ist Peter Paul Rubens, und er bringt seine Porträts, vor allem aus dem Familienkreis, mit den drei genannten Kreiden auf dunklem Papier zur Darstellung. Er ist auch in Menzels Briefen das viel berufene Vorbild. Eine Differenz zu Menzel ist allerdings festzuhalten, und sie betrifft auch die meisten französischen Blätter: Rubens‘ Pastelle bewahren den Handzeichnungscharakter vor allem dadurch, dass der Grund des Zeichnungspapieres in starkem Maße mitspricht. Bei Menzel ist der Charakter des farbigen Bildes stärker, bei ihm ist das Pastell in seiner Erscheinung etwas näher am Gemälde als an der Zeichnung. Dennoch: Da auch Rubens bräunliches Papier benutzt, kommen bei ihm wie bei Menzel vier Farben zur Wirkung. Das erinnert an eine berühmte, in zahllosen kunsttheoretischen Traktaten <s>berufene</s> erwähnte Anekdote zum antiken Maler Apelles, die sich zuerst in der Naturgeschichte des Plinius findet. Apelles habe sich über Farb- und Prunksucht moderner Künstler beschwert und für sich in Anspruch genommen, mit nur vier Farben alles darstellen zu können. Das sei die eigentliche Kunst. Und er nennt die vier Farben auch: Rot, Gelb (gemeint offensichtlich ein Ockerton), Schwarz und Weiß. Nimmt man noch hinzu, dass für Tizian überliefert ist, dass er zuerst in einem Mittelton auf der Leinwand einen Farbklumpen als Farbbett aufgetragen und von hier aus durch Beimischung die Farben aufgehellt oder verdunkelt habe, dann wird der Gesamtzusammenhang deutlich, in dessen Tradition auch Menzel noch steht. Der mittlere Ton, der den Grundton bildet, ist ein bräunlich gelber Ockerton, ein Erdton, aus dem alles gebildet wird. So wie Gott den Menschen aus Lehm geformt hat, so schafft entsprechend auch der Künstler. Damit ist das Pastell entschieden nobilitiert.

Doch schaut man Menzels Blatt genau an, so stellt man fest, dass die vier Farben zwar eindeutig vorherrschen und auch der Grundton an verschiedenen Stellen durchscheint und damit zur Gegenstandsfarbe wird, an den Händen und im Gesicht jedoch hellt Menzel den ockerbraunenTon auf und auch beim in der Taille gerüschten roten Jäckchen von Emilie kommt es zu einer kaum merklichen Farbvermehrung. Da, wo das überraschend von rechts kommende Licht aufsitzt, fügt Menzel minimale gelbe und hellblaue Strichelchen hinzu. Letztere finden sich auch im abgeschatteten Teil der Jacke. Ihre Funktion ist eindeutig, sie dienen der Verlebendigung, so wie die starke Verwendung von Weiß auf dem Kleid, am Kragen und an der Manschette, an der man im Übrigen gut erkennen kann, dass Menzel schwach mit spitzem schwarzen Kreidestift vorgezeichnet hat. Doch die Verwendung von gelben und blauen Farbstrichelchen auf der roten Jacke ist kein Zufall: mit Rot, Gelb und Blau ist die aristotelische Farbtrias aufgerufen, gerahmt von den beiden sogenannten Nichtfarben Weiß und Schwarz. Damit ist das gesamte Farbspektrum anwesend, und zwei farbtheoretische Auffassungen durchdringen sich.

Emilie sitzt auf einer Art flachem hölzernen Kasten, stützt sich mit der Linken ab, während die Rechte auf dem Knie ruht. Ihr Blick ist gesenkt, so dass wir ihre Züge nur erahnen können. In der Tat, wie der alte Titel es andeutet, liegt das Hauptaugenmerk auf der Pose und dem Gewand an sich. Menzel lässt durch leichtes Verwischen die Darstellung zum linken und rechten Rand hin verschwimmen, dadurch wird unser Blick auf das Zentrum fokussiert. Schaut man die zeichnerischen und malerischen Wiedergaben von Menzels Schwester durch, so erkennt man schnell, dass es Menzel darauf ankam, ihr Verhalten in unbeobachteten Momenten, in ungewöhnlichen und transitorischen Posen zu erhaschen, als würde er damit mehr von ihrem Wesen erfassen können. Auch insofern gehört das Pastell in unmittelbare Nähe zur Hamburger Ölskizze mit der schlafenden Emilie von 1849. Andererseits ist alles, was Menzel zeichnet, für ihn Studienmaterial. Häufig nicht für einen bestimmten Zweck gefertigt, sondern „auf Vorrat“, bei Bedarf kann er darauf zurückgreifen. Bei einer gelungenen Formfindung in der Zeichnung findet sich nicht selten ein Kreuzchen am Rand, das die Zeichnung als besonders geeignet zur Wiederverwendung deklariert. Doch die Pastelle sind anspruchsvoller, sie sind vollgültige Werke, allerdings mit einer doppelten Einschränkung: Zum einen erzählen sie keine Geschichte, sie sind Zustandsschilderungen, und zum anderen verbleiben sie im privaten Rahmen, sind ursprünglich nicht für den Verkauf gedacht. Dem entspricht der Status zwischen Zeichnung und Gemälde. Es sind keine reinen Studien, aber auch keine offiziellen Kunstgegenstände. Das macht ihren besonderen Reiz aus. Wir schauen Menzel beim Arbeiten zu, können den Werkprozess nachvollziehen, und die Blätter erlauben es uns zugleich, einen Blick in Menzels sorgsam gehütetes Privatleben zu tun.

Das vorliegende Blatt ermöglicht es uns so, Menzel ein Stück weit zu verstehen. Einerseits nimmt er alles, was er sieht, so nüchtern und genau wie nur möglich auf, und andererseits lässt er seine Gefühle nur in abgeschirmter Privatheit zu. So dürfte auch dieses Blatt im Familienkreis verblieben sein. Das macht den Blick auf die Schwester so anrührend. Zugleich handelt es sich um ein Meisterwerk sondergleichen, wie es nur noch selten auf dem Markt erscheint.

Werner Busch

 

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