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Wiederentdeckt: Die Sammlung Walter Bauer bei Grisebach

15.09.2025, Berlin

Grisebach freut sich, bereits heute ein erstes Highlight der kommenden Winterauktionen (27./28. November 2025) anzukündigen: die vor der Öffentlichkeit seit Jahrzehnten verborgene Sammlung von Walter Bauer aus seinem Nachlass repräsentiert die kuratierte Auswahl von 120 Gemälden, Skulpturen, Aquarellen und Zeichnungen, Holzschnitten, Radierungen und Lithografien - zwei Jahrhunderte deutscher Zeichenkunst vom Klassizismus, zum Expressionismus bis in die Nachkriegszeit mit einer mittleren Gesamtschätzung von 3 Millionen Euro. 

Walter Bauer (1901-1968) begeisterte sich für die Kunst der Expressionisten und so engagierte er sich für Künstlerinnen und Künstler, die während der NS-Zeit verfemt waren: Paula Modersohn-Becker, Künstler der Brücke wie Emil Nolde und Ernst Ludwig Kirchner, Lovis Corinth, Ernst Barlach, Max Beckmann, Oskar Schlemmer, Käthe Kollwitz, Hans Hartung, Ernst Wilhelm Nay und andere stehen für seine Neugierde und Leidenschaft für die Moderne. Zu den Spitzenlosen zählen unter anderem Paula Modersohn-Beckers museales Selbstporträt „Selbstbildnis nach halblinks“ von 1906, in dem sich die Künstlerin stark und selbstbewusst inszeniert (Schätzpreis EUR 250.000–350.000). Aus der produktivsten Schaffensphase Emil Noldes stammt das ebenfalls museale „Stilleben P (Grüner Hintergrund, Hirsch, Kopf)“ von 1915. Das Gemälde befand sich ursprünglich in der Staatlichen Gemäldegalerie Dresden, bevor es 1937 durch das Deutsche Reich beschlagnahmt wurde (EUR 250.000–350.000).

Einen weiteren Höhepunkt bildet Edvard Munchs selbstironische Lithografie „Selbstporträt mit Knochenarm“, die zu den bedeutendsten Bildnissen seines Œuvres zählt (EUR 40.000–60.000). Die Sammlung ist das Ergebnis der fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen dem Sammler und einem erfahrenen Museumsmann, dem ehemaligen Direktor der Hamburger Kunsthalle, Carl Georg Heise.

1901 in Heilbronn geboren, studiert Walter Bauer Nationalökonomie und tritt 1924 als Direktionsassistent in die Berliner Handels AG ein, die für den Konzern des Braunkohlemagnaten Julius Petschek tätig ist. Dessen Konzern dominiert die Hälfte des europäischen Braunkohlehandels. 1928 wird er zugleich Geschäftsführer der Thüringischen Kohlen- und Brikettverkaufsgesellschaft Leipzig im Petschek-Konzern, bleibt dort bis 1938 und startet nach der „Arisierung“ in Fulda seine unternehmerische Selbstständigkeit. Mit emigrierten Mitgliedern der Familie Petschek bleibt er auch nach 1945 freundschaftlich verbunden. Während der Zeit des Nationalsozialismus schließt er sich der oppositionellen Bekennenden Kirche und dem Freiburger Kreis um Dietrich Bonhoeffer an. Nach Bonhoeffers Verhaftung wird auch Walter Bauer 1944 inhaftiert, jedoch 1945 kurz vor Kriegsende freigelassen. 1950 wird Walter Bauer von der Bundesregierung zum Mitglied der deutschen Delegation der Pariser Sechs-Mächte-Konferenz ernannt, die zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl führt, und als Treuhänder mit der Entflechtung des konzerngebundenen Kohlenhandels in der amerikanischen Zone beauftragt. Zudem engagiert er sich in der Evangelischen Kirche und gründet das „Hilfswerk 20. Juli 1944“ mit. Walter Bauer stirbt 1968 in Fulda.

Der Kontakt zu Carl Georg Heise, einem der bedeutendsten Kunsthistoriker des 20. Jahrhunderts und Direktor des St. Annen-Museums in Lübeck (1920 bis 1933) sowie der Hamburger Kunsthalle (1945 bis 1955), prägte die Entwicklung von Walter Bauers Sammlung deutscher Zeichenkunst nachhaltig. Schon während der NS-Zeit war der Kunstmarkt äußerst ambivalent: Die Kunst der Moderne wurde verfemt, beschlagnahmt und 1937 in der Ausstellung „Entartete Kunst“ diffamiert.

Der umfassenderen Reinigung der Museen ab August 1937 folgt die von Hitler gesetzlich beschlossene Enteignung zum 1. Mai 1938. Im Rahmen des Verkauf „Entarteter Kunst“ gegen Devisen durch vier offiziell eingesetzte Händler – Bernhard A. Böhmer, Karl Buchholz, Hildebrand Gurlitt und Ferdinand Möller – sorgt Carl Georg Heise, dafür, dass vier ehemals Lübecker Werke wie die Gemälde „Paar am Fenster“ von Karl Hofer aus dem Jahr 1925 (über Bernhard A. Böhmer) und das „Selbstbildnis nach halblinks“ aus dem Jahr 1906 von Paula Modersohn-Becker sowie Emil Noldes „Stilleben P (Grüner Hintergrund, Hirsch, Kopf)“ aus dem Jahr 1915 über Ferdinand Möller in die Sammlung Bauers gelangen. Auch Ernst Barlachs Holzskulptur „Der Wartende“, 1924 aus dem Staatlichen Museum in Saarbrücken entwendet, vermittelt Heise 1940 über Bernhard Böhmer an Walter Bauer.

Als Carl Georg Heise 1945 Direktor der Hamburger Kunsthalle wird, bleibt der Kontakt zu Walter Bauer bestehen. Heise gewinnt den Sammler für 16 Leihgaben für die Ausstellung „Malerei der letzten hundert Jahre“ in der Hamburger Kunsthalle und überzeugt ihn im Anschluss, einige Werke als Dauerleihgaben der Kunsthalle zu überlassen. In den 1950er Jahren besucht Heise im Auftrag Bauers Auktionen und ersteigert den anzahlmäßig umfänglichsten Teil der Sammlung. 1967 wird die Sammlung in Karlsruhe mit einer Auswahl der besten Blätter zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt; seitdem verbleibt sie im Verborgenen. Mit der Sammlung Walter Bauer gelangt ein einzigartiges Kapitel deutscher Kunstgeschichte bei Grisebach zur Auktion.

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