Max Beckmann. Zeichnungen und Aquarelle aus dem Nachlaß Mathilde (Quappi) Beckmann und anderen Sammlungen. Berlin und Kampen, Galerie Pels-Leusden, 1997, Kat.-Nr. 65, Abb. S. 7
Literatur und Abbildung
Erhard Göpel (Hg.): Max Beckmann. Tagebücher 1940–1950. München und Zürich, Piper Verlag, 1984, S. 344 / Ausst.-Kat.: Beckmann und Amerika. Frankfurt a.M., Städel Museum, 2011, Abb. S. 136 (nicht ausgestellt)
„Habe die Simrockschen Nibelungen zuende gelesen. Große Sache, doch nun muß ich noch die nordische Version lesen. Viel von der ganzen unsinnigen Gier und Tragik – auch das Heroische ist da prophetisch vorhergesehen.“ (Max Beckmann, Tagebucheintrag vom 11.8.1949)
Das hochmittelalterliche Versepos des Nibelungenliedes wurde im 19. Jahrhundert im Zuge der Nationalstaatenbildung im deutschsprachigen Raum wiederentdeckt und vielfach bearbeitet. Karl Simrock übersetzte das Lied aus dem Mittelhochdeutschen. Friedrich Hebbel verfasste ein sich eng an das Vorbild haltendes Drama, in dem die Figur der Kriemhild im Vordergrund steht. Richard Wagner stellte die heroische Brünnhilde in den Mittelpunkt seines Bühnenfestspiels „Der Ring des Nibelungen“. Er verknüpfte das Versepos, Sagen aus der nordischen Edda und andere Quellen zur bis heute wirkmächtigsten Erzählung über die Nibelungensage. Alle Autoren waren fasziniert von der Tiefe der Leidenschaften, den Folgen verwandtschaftlicher und politischer Beziehungen und den Konflikten innerhalb der tradierten Geschlechterrollen. Beckmann schuf nach der Lektüre der Nibelungen 1949 vier großformatige Zeichnungen, drei von ihnen zum Themenkreis um Kriemhild.
Wir erblicken Kriemhild in einem Moment größter Verzweiflung. Ihr Mann Siegfried wurde von Hagen heimtückisch getötet. Durch eine List hatte Hagen ihr das Geheimnis von Siegfrieds Verwundbarkeit entlockt. Kriemhilds Gesicht ist übergroß, das Format sprengend, ihr Mund im Schrei verzerrt. Der mittelalterliche Kopfschmuck verliert seine hoheitliche Funktion. Der Schmerz entblößt diese Frau. Doch in den schmalen Augen lauert schon die aus Verletzung und Verrat geborene Rache. Kriemhild wird in ihrem rasenden Hass selbst mit untergehen. Und hierin liegt die große Tragik, die Beckmann an dieser Gestalt fasziniert haben wird. Vier Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges geschaffen, offenbart Kriemhild die ganze Ambivalenz des Menschen. OHZu den Werken aus einer Berliner Privatsammlung
Tuschfeder und Kohle auf Bütten (Wasserzeichen: ESCO). 59,8 × 45,2 cm
(23 ½ × 17 ¾ in.). Unten rechts mit Bleistift signiert und datiert: Beckmann 49. Rückseitig betitelt: Schreiende Kriemhild. Werkverzeichnis: Nicht mehr bei von Wiese. Die Zeichnung wird aufgenommen in das erweiterte Werkverzeichnis der Zeichnungen von Max Beckmann von Hedda Finke und Stephan von Wiese. [3065] Gerahmt
Provenienz
Mathilde (Quappi) Beckmann, New York / Privatsammlung, Berlin (1997 in der Galerie Pels-Leusden, Berlin/Kampen, erworben)
Max Beckmann. Zeichnungen und Aquarelle aus dem Nachlaß Mathilde (Quappi) Beckmann und anderen Sammlungen. Berlin und Kampen, Galerie Pels-Leusden, 1997, Kat.-Nr. 65, Abb. S. 7
Literatur und Abbildung
Erhard Göpel (Hg.): Max Beckmann. Tagebücher 1940–1950. München und Zürich, Piper Verlag, 1984, S. 344 / Ausst.-Kat.: Beckmann und Amerika. Frankfurt a.M., Städel Museum, 2011, Abb. S. 136 (nicht ausgestellt)
„Habe die Simrockschen Nibelungen zuende gelesen. Große Sache, doch nun muß ich noch die nordische Version lesen. Viel von der ganzen unsinnigen Gier und Tragik – auch das Heroische ist da prophetisch vorhergesehen.“ (Max Beckmann, Tagebucheintrag vom 11.8.1949)
Das hochmittelalterliche Versepos des Nibelungenliedes wurde im 19. Jahrhundert im Zuge der Nationalstaatenbildung im deutschsprachigen Raum wiederentdeckt und vielfach bearbeitet. Karl Simrock übersetzte das Lied aus dem Mittelhochdeutschen. Friedrich Hebbel verfasste ein sich eng an das Vorbild haltendes Drama, in dem die Figur der Kriemhild im Vordergrund steht. Richard Wagner stellte die heroische Brünnhilde in den Mittelpunkt seines Bühnenfestspiels „Der Ring des Nibelungen“. Er verknüpfte das Versepos, Sagen aus der nordischen Edda und andere Quellen zur bis heute wirkmächtigsten Erzählung über die Nibelungensage. Alle Autoren waren fasziniert von der Tiefe der Leidenschaften, den Folgen verwandtschaftlicher und politischer Beziehungen und den Konflikten innerhalb der tradierten Geschlechterrollen. Beckmann schuf nach der Lektüre der Nibelungen 1949 vier großformatige Zeichnungen, drei von ihnen zum Themenkreis um Kriemhild.
Wir erblicken Kriemhild in einem Moment größter Verzweiflung. Ihr Mann Siegfried wurde von Hagen heimtückisch getötet. Durch eine List hatte Hagen ihr das Geheimnis von Siegfrieds Verwundbarkeit entlockt. Kriemhilds Gesicht ist übergroß, das Format sprengend, ihr Mund im Schrei verzerrt. Der mittelalterliche Kopfschmuck verliert seine hoheitliche Funktion. Der Schmerz entblößt diese Frau. Doch in den schmalen Augen lauert schon die aus Verletzung und Verrat geborene Rache. Kriemhild wird in ihrem rasenden Hass selbst mit untergehen. Und hierin liegt die große Tragik, die Beckmann an dieser Gestalt fasziniert haben wird. Vier Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges geschaffen, offenbart Kriemhild die ganze Ambivalenz des Menschen. OHZu den Werken aus einer Berliner Privatsammlung