Wir danken Dr. Barbara Hardtwig, München, für wertvolle Hinweise..
Literatur und Abbildung
Brigitte Huber: Der Nachlass Dillis' im Bestand des Historischen Vereins von Oberbayern. In: Ausst.-Kat.: Johann Georg von Dillis (1759–1841). Die Kunst des Privaten. Zeichnungen aus dem Nachlass des Historischen Vereins von Oberbayern. München, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, und Hamburg, Hamburger Kunsthalle, 2003/2004, S. 14, Abb. 4a
Dillis – Wolken Weiß auf Blau
Das aus Dillis‘ Nachlass überlieferte, ungewöhnlich schöne Blatt zeigt das flüchtige und prächtige Ereignis des Vorbeiziehens einer weiß geballten, vielgestaltig sich auftürmenden sommerlichen Wolkenformation am blauen Firmament. Dieses ist durch den Grund von blauem Papier visualisiert. Bei Sonnenstand im Osten leuchten die konvexen Ränder der Luftgebildes, in dessen dunstigen Partien die leicht verriebene Kreide den Eindruck von Transparenz erzeugt. Mit beschwingter Leichtigkeit füllen die schwebenden, sich überlagernden und überschneidenden Formen den Luftraum von rechts einströmend, die voraneilenden Wolkenpartien streben in die Leere hinüber, gefolgt von mächtigeren Ballungen, deren Nachzügler wiederum Leere freigeben.
Das persönliche Erlebnis des Künstlers im rasch vollzogenen Gestalten teilt sich dem Betrachter unmittelbar mit und bewirkt suggestiv, dass in der Anschauung selbst erfahrene Glücksmomente erinnernd anklingen mögen. Der als meteorologisches Phänomen benennbare Gegenstand vermittelt in diesem Meisterwerk die Suggestion eines poetisch geistigen Moments.
Die Wolkendarstellungen von Johann Georg von Dillis präsentieren eine eindrucksvolle, und wohl die bedeutendste Werkgruppe im Zeichnungswerk des vielseitigen Künstlers, dessen privater Nachlass alle Bereiche von Landschaft, Porträt und Genre umfasst.
An entlegenem Standort aufbewahrt, blieben die Wolkenstudien von Johann Georg von Dillis der Kunstwelt erstaunlich lange gänzlich unbekannt. Dillis selbst betrachtete sie als persönliche, subjektive Momentaufnahmen des Himmelsgeschehens, das er täglich beim Blick aus seinem Amtszimmer im Geschoss über den Hofgartenarkaden in München – dem Dienstsitz des Inspektors der kurfürstlichen Bildergalerie am Hofgarten seit 1790 – vor Augen hatte. Darauf deuten einzelne Wolkenzeichnungen hin, die am rechten Rand die Türme der Theatinerkirche skizzieren.
Dillis behielt diesen umfangreichen Komplex seines riesigen Zeichnungswerks praktisch vollständig in seinem privaten Besitz. Auf Verkauf seiner Arbeiten war er als Beamter im Staatsdienst nicht angewiesen. Erstmals wies Kurt Badt in seinem Band „Wolkenbilder und Wolkengedichte der Romantik“ (1960) auf den so gut wie verborgen gebliebenen Werkbestand hin. Seit den Ausstellungen „Goethe und die Kunst“ mit Werner Buschs Aufsatz „Die Ordnung im Flüchtigen – Wolkenstudien der Goethezeit“ in Frankfurt (1994) und John Gages „Clouds over Europe“ in „Constables Clouds“, Edinburgh (2000) werden die Zeichnungen – neben denen von Friedrich, Dahl und Blechen – endgültig zu den Hauptwerken dieses Genres in der europäischen Kunst von Constable bis Courbet gezählt. Einen Durchbruch für die Bekanntheit und Wertschätzung von Dillis` Wolkenbildern brachte die (von Barbara Hardtwig kuratierte) Ausstellung in München (2003) „Johann Georg von Dillis. Die Kunst des Privaten“, in der ein eigener Saal mit diesen Exponaten die Aufmerksamkeit der Besucher auf sich zog.
Zieht man die wenigen datierten Blätter als Eckdaten zu Rate, so entstanden die mit weißer Kreide auf blauen Papieren gezeichneten Wolkendarstellungen im Wesentlichen zwischen 1815 und 1829 – und damit zum Teil auch früher als die seiner berühmten Kollegen. Mit Bleistift, noch auf weißem Papier, tauchen Wolkenfixierungen jedoch schon in seinen ersten erhaltenen Skizzenbüchern von einer Reise an den Oberrhein 1788 und auf Zeichnungen aus der Umgebung Roms 1794 auf, vereinzelt auch mit Angaben zu Himmelsfarben und Tageszeit.
Als Anregung für die Wahl des blauen Papiers als Grund kann der Besuch bei Pierre-Athanase Chauvin, einem Valenciennes-Schüler, eine Rolle gespielt haben. Dillis` Skizzenbucheintrag in Rom 1805 lautet: „Seine Zeichnungen mit Kreide auf blauem Papier gefallen mir vorzüglich“.
(Mit dem sehr frühen Aufgreifen der blauen Papiere als Grund klingen in Dillis` Wolkenbildern auch Traditionen aus dem 18. Jahrhundert nach, nicht nur mit der Pastelltechnik, sondern auch mit den schäumend sprudelnden Formen des Stucks im bayerischen Rokoko. Bei diesen eilenden und schwebenden Gestalten eines immateriellen Nichts, einem Aggregatzustand des Wassers, mag sich der Betrachter durchaus noch an Rokoko-Ornamente erinnern.)
Mit der Beobachtung des Himmels schreibt sich Dillis in eine lange Tradition der Landschaftsmaler ein, die von Beginn an interessiert waren an wechselnden Lichtsituationen und Wolkengebilden und dafür zunehmend in der Natur selbst oder mit Blick aus dem Fenster zeichneten und malten. Seit der Franzose Pierre-Henri de Valenciennes und der Engländer Thomas Jones ab etwa 1780 Freilicht-Ölskizzen anfertigten, wird in den praktischen Malanleitungen zum Malen in der Natur betont, dass raschestes Arbeiten erforderlich sei, um die Flüchtigkeit der Wolken fixieren zu können. Obwohl Dillis selbst mit seinen eigenen Ölskizzen auch ein bedeutender Meister der frühen Freilichtmalerei war, wählte er für die Fixierung permanent sich verändernder Wolkenformationen allein die rasch vollzogene Zeichnung. Anders als bei Constable, der sich auf Wolken-Ölskizzen konzentrierte, findet sich bei Dillis kein einziges Beispiel dieses Genres. Constable verwendete sie als Vorarbeiten für Gemälde, Dillis zeichnete sie ohne Zweckbestimmung (oder: ohne beabsichtigte Verwendung) als freie künstlerische und damit autonome Arbeiten.
Tatsächlich begann mit dieser Praxis etwas ganz Neues. In vielen Ländern Europas etablierte sich nahezu gleichzeitig die Wolkenstudie als eine eigene Gattung. Sie gehört in den Kontext eines breiten neuartigen Wahrnehmungsinteresses, dessen Entstehung und Bedeutung Werner Busch als zeitgeschichtlichen Schritt zur „Säkularisierung des Himmels“ deutete. Gleichzeitig erschienen wissenschaftliche Publikationen wie der Schrift von Luke Howard „On the modification of Clouds“ (1803), die auch Goethe kannte, der mit seinen ab 1815 erschienenen meteorologischen Beobachtungen wesentlich zu diesem Diskurs beitrug.
Schon rund zwei Jahrzehnte zuvor hatte sich mit Wilhelm Heinses „Ardinghello“ (1787) die Dichtung des Themas angenommen. Dillis hatte 1792 daraus eine lange Passage in sein Skizzenbuch eingetragen, und las dort die Worte des Demetri: “Wenn ich ein Landschaftsmaler wäre, [...] ich malte ein ganzes Jahr nichts als Lüfte. [...] Welch ein Zauber, welche unendliche Melodien von Licht und Dunkel, Wolkenformationen und heiterem Blau! Es ist die Poesie der Natur“.
Barbara Hardtwig
Weiße Kreide auf blauem Bütten (Wasserzeichen: ILO). 22 × 35 cm
(8 ⅝ × 13 ¾ in.). Rückseitig mit dem Stempel des Historischer Verein von Oberbayern. [3175] Gerahmt
Provenienz
Nachlass des Künstlers / Historischer Verein von Oberbayern (1897 erworben) / Privatsammlung, Bayern (1977 vom Vorgenannten erworben)
Wir danken Dr. Barbara Hardtwig, München, für wertvolle Hinweise..
Literatur und Abbildung
Brigitte Huber: Der Nachlass Dillis' im Bestand des Historischen Vereins von Oberbayern. In: Ausst.-Kat.: Johann Georg von Dillis (1759–1841). Die Kunst des Privaten. Zeichnungen aus dem Nachlass des Historischen Vereins von Oberbayern. München, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, und Hamburg, Hamburger Kunsthalle, 2003/2004, S. 14, Abb. 4a
Dillis – Wolken Weiß auf Blau
Das aus Dillis‘ Nachlass überlieferte, ungewöhnlich schöne Blatt zeigt das flüchtige und prächtige Ereignis des Vorbeiziehens einer weiß geballten, vielgestaltig sich auftürmenden sommerlichen Wolkenformation am blauen Firmament. Dieses ist durch den Grund von blauem Papier visualisiert. Bei Sonnenstand im Osten leuchten die konvexen Ränder der Luftgebildes, in dessen dunstigen Partien die leicht verriebene Kreide den Eindruck von Transparenz erzeugt. Mit beschwingter Leichtigkeit füllen die schwebenden, sich überlagernden und überschneidenden Formen den Luftraum von rechts einströmend, die voraneilenden Wolkenpartien streben in die Leere hinüber, gefolgt von mächtigeren Ballungen, deren Nachzügler wiederum Leere freigeben.
Das persönliche Erlebnis des Künstlers im rasch vollzogenen Gestalten teilt sich dem Betrachter unmittelbar mit und bewirkt suggestiv, dass in der Anschauung selbst erfahrene Glücksmomente erinnernd anklingen mögen. Der als meteorologisches Phänomen benennbare Gegenstand vermittelt in diesem Meisterwerk die Suggestion eines poetisch geistigen Moments.
Die Wolkendarstellungen von Johann Georg von Dillis präsentieren eine eindrucksvolle, und wohl die bedeutendste Werkgruppe im Zeichnungswerk des vielseitigen Künstlers, dessen privater Nachlass alle Bereiche von Landschaft, Porträt und Genre umfasst.
An entlegenem Standort aufbewahrt, blieben die Wolkenstudien von Johann Georg von Dillis der Kunstwelt erstaunlich lange gänzlich unbekannt. Dillis selbst betrachtete sie als persönliche, subjektive Momentaufnahmen des Himmelsgeschehens, das er täglich beim Blick aus seinem Amtszimmer im Geschoss über den Hofgartenarkaden in München – dem Dienstsitz des Inspektors der kurfürstlichen Bildergalerie am Hofgarten seit 1790 – vor Augen hatte. Darauf deuten einzelne Wolkenzeichnungen hin, die am rechten Rand die Türme der Theatinerkirche skizzieren.
Dillis behielt diesen umfangreichen Komplex seines riesigen Zeichnungswerks praktisch vollständig in seinem privaten Besitz. Auf Verkauf seiner Arbeiten war er als Beamter im Staatsdienst nicht angewiesen. Erstmals wies Kurt Badt in seinem Band „Wolkenbilder und Wolkengedichte der Romantik“ (1960) auf den so gut wie verborgen gebliebenen Werkbestand hin. Seit den Ausstellungen „Goethe und die Kunst“ mit Werner Buschs Aufsatz „Die Ordnung im Flüchtigen – Wolkenstudien der Goethezeit“ in Frankfurt (1994) und John Gages „Clouds over Europe“ in „Constables Clouds“, Edinburgh (2000) werden die Zeichnungen – neben denen von Friedrich, Dahl und Blechen – endgültig zu den Hauptwerken dieses Genres in der europäischen Kunst von Constable bis Courbet gezählt. Einen Durchbruch für die Bekanntheit und Wertschätzung von Dillis` Wolkenbildern brachte die (von Barbara Hardtwig kuratierte) Ausstellung in München (2003) „Johann Georg von Dillis. Die Kunst des Privaten“, in der ein eigener Saal mit diesen Exponaten die Aufmerksamkeit der Besucher auf sich zog.
Zieht man die wenigen datierten Blätter als Eckdaten zu Rate, so entstanden die mit weißer Kreide auf blauen Papieren gezeichneten Wolkendarstellungen im Wesentlichen zwischen 1815 und 1829 – und damit zum Teil auch früher als die seiner berühmten Kollegen. Mit Bleistift, noch auf weißem Papier, tauchen Wolkenfixierungen jedoch schon in seinen ersten erhaltenen Skizzenbüchern von einer Reise an den Oberrhein 1788 und auf Zeichnungen aus der Umgebung Roms 1794 auf, vereinzelt auch mit Angaben zu Himmelsfarben und Tageszeit.
Als Anregung für die Wahl des blauen Papiers als Grund kann der Besuch bei Pierre-Athanase Chauvin, einem Valenciennes-Schüler, eine Rolle gespielt haben. Dillis` Skizzenbucheintrag in Rom 1805 lautet: „Seine Zeichnungen mit Kreide auf blauem Papier gefallen mir vorzüglich“.
(Mit dem sehr frühen Aufgreifen der blauen Papiere als Grund klingen in Dillis` Wolkenbildern auch Traditionen aus dem 18. Jahrhundert nach, nicht nur mit der Pastelltechnik, sondern auch mit den schäumend sprudelnden Formen des Stucks im bayerischen Rokoko. Bei diesen eilenden und schwebenden Gestalten eines immateriellen Nichts, einem Aggregatzustand des Wassers, mag sich der Betrachter durchaus noch an Rokoko-Ornamente erinnern.)
Mit der Beobachtung des Himmels schreibt sich Dillis in eine lange Tradition der Landschaftsmaler ein, die von Beginn an interessiert waren an wechselnden Lichtsituationen und Wolkengebilden und dafür zunehmend in der Natur selbst oder mit Blick aus dem Fenster zeichneten und malten. Seit der Franzose Pierre-Henri de Valenciennes und der Engländer Thomas Jones ab etwa 1780 Freilicht-Ölskizzen anfertigten, wird in den praktischen Malanleitungen zum Malen in der Natur betont, dass raschestes Arbeiten erforderlich sei, um die Flüchtigkeit der Wolken fixieren zu können. Obwohl Dillis selbst mit seinen eigenen Ölskizzen auch ein bedeutender Meister der frühen Freilichtmalerei war, wählte er für die Fixierung permanent sich verändernder Wolkenformationen allein die rasch vollzogene Zeichnung. Anders als bei Constable, der sich auf Wolken-Ölskizzen konzentrierte, findet sich bei Dillis kein einziges Beispiel dieses Genres. Constable verwendete sie als Vorarbeiten für Gemälde, Dillis zeichnete sie ohne Zweckbestimmung (oder: ohne beabsichtigte Verwendung) als freie künstlerische und damit autonome Arbeiten.
Tatsächlich begann mit dieser Praxis etwas ganz Neues. In vielen Ländern Europas etablierte sich nahezu gleichzeitig die Wolkenstudie als eine eigene Gattung. Sie gehört in den Kontext eines breiten neuartigen Wahrnehmungsinteresses, dessen Entstehung und Bedeutung Werner Busch als zeitgeschichtlichen Schritt zur „Säkularisierung des Himmels“ deutete. Gleichzeitig erschienen wissenschaftliche Publikationen wie der Schrift von Luke Howard „On the modification of Clouds“ (1803), die auch Goethe kannte, der mit seinen ab 1815 erschienenen meteorologischen Beobachtungen wesentlich zu diesem Diskurs beitrug.
Schon rund zwei Jahrzehnte zuvor hatte sich mit Wilhelm Heinses „Ardinghello“ (1787) die Dichtung des Themas angenommen. Dillis hatte 1792 daraus eine lange Passage in sein Skizzenbuch eingetragen, und las dort die Worte des Demetri: “Wenn ich ein Landschaftsmaler wäre, [...] ich malte ein ganzes Jahr nichts als Lüfte. [...] Welch ein Zauber, welche unendliche Melodien von Licht und Dunkel, Wolkenformationen und heiterem Blau! Es ist die Poesie der Natur“.
Barbara Hardtwig