Wir danken Dr. Claude Keisch, Berlin, für die Bestätigung der Authentizität des Pastells.
Menzel „was prone to observing observers“, erklärte Françoise Forster-Hahn in einem Essay zum legendären „Balkonzimmer“ aus der Sammlung der Berliner Nationalgalerie. Und es stimmt: Wohl kein zweiter deutscher Künstler des 19. Jahrhunderts hat das Sehen so sehr zum Thema seiner Werke gemacht wie Adolph Menzel. Immer wieder zeichnete und malte er den Moment des Zuschauens – vom überspannten Gaffen auf Zootiere über müde Blicke aus dem Eisenbahnabteil bis hin zur andächtigen Vertiefung im Museum. Der akribischste Beobachter war Menzel selbst: „Kein Kodak spiegelte schärfer wider“ als seine untrüglichen Augen, schrieb Axel Delmar 1905 in seinem Nachruf auf „die kleine Exzellenz“. Die größte Kraft entwickelten Menzels Beobachtungen immer dort, wo sein Blick unbemerkt examinieren konnte, etwa während einer Theatervorstellung oder im Konzert. In einen solchen Kontext dürfte auch das Pastell aus der Sammlung Bauer einzuordnen sein. Mit größter Leichtigkeit, meisterhaft schnell und doch präzise, setzt Menzel die Pastellstriche auf das bräunliche Papier. Sein besonderes Interesse gilt der aufwendigen Flechtfrisur der Dame, die rechts neben einem älteren Herren Platz genommen hat. Die Faszination war so groß, dass Menzel denselben Frauenkopf in einem zweiten Pastell festhielt, das ehemals Max Liebermann gehörte (Auktion Christie’s London, 4.7.2023, Los 96). Hier wie dort rückt er sämtliche Köpfe in das Verlorene Profil. Die Gesichter verschwinden beinahe vollständig, die klassische Repoussoirfigur, die den Blick des Betrachters auf einen Gegenstand in der Tiefe zieht, wird zitiert und zugleich ad absurdum geführt, denn der Raum ist nicht ausgeführt. Es dreht sich alles um das Sinnerlebnis: vor allem um das Sehen, aber auch – typisch Menzel! – um das Fühlen und Hören. Das rechte Ohr des Mannes erhält einige Aufmerksamkeit, ebenso wie die weiß gehöhten Perlen an den Ohren der Dame. Vielleicht oder sogar wahrscheinlich hören sie Musik. Seine fühlende Hand hat der Mann in einer Geste von selbstvergessener Versenkung an den Mund geführt. So ist in der kleinen Bildwelt von Walter Bauers Pastell ein großer Gedanke enthalten, der Menzels Kunst von der Jugend bis ins hohe Alter prägte: der Gedanke von multisensorischer Erfahrung von Welt im Allgemeinen und den Empfindungen von Auge und Ohr im Besonderen – den beiden Sinnen, die für den Künstler und Musikliebhaber Menzel über allen anderen stehen, weil sie Töne hörbar und Bilder sichtbar machen. FMG
Wir danken Dr. Claude Keisch, Berlin, für die Bestätigung der Authentizität des Pastells.
Menzel „was prone to observing observers“, erklärte Françoise Forster-Hahn in einem Essay zum legendären „Balkonzimmer“ aus der Sammlung der Berliner Nationalgalerie. Und es stimmt: Wohl kein zweiter deutscher Künstler des 19. Jahrhunderts hat das Sehen so sehr zum Thema seiner Werke gemacht wie Adolph Menzel. Immer wieder zeichnete und malte er den Moment des Zuschauens – vom überspannten Gaffen auf Zootiere über müde Blicke aus dem Eisenbahnabteil bis hin zur andächtigen Vertiefung im Museum. Der akribischste Beobachter war Menzel selbst: „Kein Kodak spiegelte schärfer wider“ als seine untrüglichen Augen, schrieb Axel Delmar 1905 in seinem Nachruf auf „die kleine Exzellenz“. Die größte Kraft entwickelten Menzels Beobachtungen immer dort, wo sein Blick unbemerkt examinieren konnte, etwa während einer Theatervorstellung oder im Konzert. In einen solchen Kontext dürfte auch das Pastell aus der Sammlung Bauer einzuordnen sein. Mit größter Leichtigkeit, meisterhaft schnell und doch präzise, setzt Menzel die Pastellstriche auf das bräunliche Papier. Sein besonderes Interesse gilt der aufwendigen Flechtfrisur der Dame, die rechts neben einem älteren Herren Platz genommen hat. Die Faszination war so groß, dass Menzel denselben Frauenkopf in einem zweiten Pastell festhielt, das ehemals Max Liebermann gehörte (Auktion Christie’s London, 4.7.2023, Los 96). Hier wie dort rückt er sämtliche Köpfe in das Verlorene Profil. Die Gesichter verschwinden beinahe vollständig, die klassische Repoussoirfigur, die den Blick des Betrachters auf einen Gegenstand in der Tiefe zieht, wird zitiert und zugleich ad absurdum geführt, denn der Raum ist nicht ausgeführt. Es dreht sich alles um das Sinnerlebnis: vor allem um das Sehen, aber auch – typisch Menzel! – um das Fühlen und Hören. Das rechte Ohr des Mannes erhält einige Aufmerksamkeit, ebenso wie die weiß gehöhten Perlen an den Ohren der Dame. Vielleicht oder sogar wahrscheinlich hören sie Musik. Seine fühlende Hand hat der Mann in einer Geste von selbstvergessener Versenkung an den Mund geführt. So ist in der kleinen Bildwelt von Walter Bauers Pastell ein großer Gedanke enthalten, der Menzels Kunst von der Jugend bis ins hohe Alter prägte: der Gedanke von multisensorischer Erfahrung von Welt im Allgemeinen und den Empfindungen von Auge und Ohr im Besonderen – den beiden Sinnen, die für den Künstler und Musikliebhaber Menzel über allen anderen stehen, weil sie Töne hörbar und Bilder sichtbar machen. FMG