Lupe
Die Krawatte in der Photographie
Robert Lebeck. „Westerland auf Sylt“. 1968. Späterer Archival Pigment-Print. 42,1 × 28,5 cm (47,8 × 32,9 cm). EUR 500–700

Ausstellung

Die Krawatte in der Photographie

Sammlung Stefan Thull

Fr, 03.09.2021 –
Do, 09.09.2021

Grisebach
Bilker Straße 4-6
40213 Düsseldorf

Über die Ausstellung

Grisebach freut sich, anlässlich der DC Open eine Auswahl der Krawatten-Photographien in der Düsseldorfer Repräsentanz zu zeigen.

3. bis 9. September 2021

Freitag, 3. September 2021, 11 bis 20 Uhr
Samstag und Sonntag, 4. und 5. September 2021, 11 bis 16 Uhr
Montag, 6. September 2021 bis Donnerstag, 9. September, 10 bis 18 Uhr

Die Bilder werden vom 17. September bis 3. Oktober 2021 in unserer Online Only Auktion versteigert.

Kontakt
T +49 211 8629 2197  duesseldorf@grisebach.com

 

Über die Sammlung

Auf den Blick kommt es an, natürlich, die Art der Wahrnehmung. Eine Fotografie kann man nach ihrem Inhalt beurteilen – dem Ereignis. Man kann sie in ihrer Komposition begreifen, als „Allover“ von Linien und Flächen, Strukturen und womöglich Farben. Man kann nach jenem Detail forschen, das aus einem guten ein sehr gutes Foto macht. Roland Barthes hat dafür den Begriff „Punctum“ eingeführt. Oder man richtet sein Auge auf etwas, das allen anderen entgeht, weil es irgendwie beiläufig daherkommt. Der aus Aachen stammende Sammler, Verleger, Publizist Stefan Thull liebt Krawatten. Getragen hat er sie, seit er denken kann. Und er hat gesammelt: irgendwie alles, was mit Krawatten zu tun hat. Seine Sammlung „Krawattivitäten“ ist längst verkauft. Aber es gab und gibt da eine zweite Sammlung. Thull nennt sie „Die Krawatte in der Photographie“. Fotografie nach gesetzten Themen zu sammeln, ist nicht neu. Aber auf die Krawatte im Lichtbild war noch keiner gekommen. Es brauchte schon den Blick des Kostümhistorikers und die Expertise des fotoaffinen Sammlers, um beides zusammen zu sehen und in seiner kulturgeschichtlichen Relevanz zu begreifen. Seit den 1980er-Jahren ist Stefan Thull suchend und sammelnd unterwegs. Galeristen, Sammlerkollegen, Fotografen gaben Tipps, wiesen den Weg zu fotografischen Bildern, in denen die Krawatte eine nicht zu übersehende Rolle spielt. So sehr sie sich auf dem Rückzug befinden mag – selbst hochrangige Politiker zeigen sich neuerdings gern mit geöffnetem Hemdkragen –, als Zeichen bleibt die Krawatte unübersehbar auf der bürgerlichen Tagesordnung. Vorderhand ist sie nutzlos. Wärmt nicht, schützt nicht, hält nichts zusammen. Immerhin ist sie Zierde, alles was vom einstigen „Pfau“ geblieben ist. Anders gesagt: Sie schmückt den Mann, verleiht Haltung, strahlt als Symbol, definiert Gruppenzugehörigkeit ebenso wie Hierarchien, ist Ausweis von Individualität, Zeichen guten oder schlechten Geschmacks. Nicht zufällig spricht man von einer „Sprache der Krawatten“. Die Krawatte, die Schleife, der Schlips begleitet das bürgerliche Zeitalter. Seit Bekanntgabe der Fotografie (1839) spielen Krawatten auch eine Rolle im Lichtbild, vielleicht eine Nebenrolle, aber ohne Statisterie keine große Oper. Mit Neugier, Forscherdrang, Sachkenntnis und Energie hat Stefan Thull über rund vier Jahrzehnte eine Sammlung von musealem Rang zusammengetragen. Alle möglichen Bildgattungen finden da zusammen: Sachaufnahmen, Werbung, Porträtfotos, Reportage- oder konzeptionell-künstlerische Bilder. Was sie eint, ist die Krawatte als zentrales Element der Erzählung. Mit Blick auf die in der Sammlung vertretenen Fotografinnen und Fotografen reicht das Spektrum von Laure Albin Guillot, deren sachlich gehaltenes Werbefoto deutlich den Geist der französischen Fotografie der Zeit zwischen den Weltkriegen atmet, bis zu Vivian Maier, Louis Stettner oder William Klein, die aus der Position des fotografierenden Flaneurs Krawatten im urbanen Raum, in Schaufenstern entdecken; von Barbara Kinney, die punktgenau die Rolle der Krawatte im politischen Ring erfasst, bis Chema Madoz, der sich in bester surrealistischer Tradition, zugleich mit einem Augenzwinkern dem Thema Krawatte nähert; von Willy Maywald, der die Krawatte im Kontext der Haute Couture diskutiert, bis Jeanloup Sieff, dessen nachdenklicher Gilbert Bécaud mit seiner Krawatte regelrecht verschmilzt. Allemal fungiert der sogenannte „Langbinder“ als Katalysator eines bildhaften Narrativs, das einiges erzählt über eine spätbürgerliche Welt mit ihren Regeln und Ritualen, Normen und Normverstößen, Moden und Antimoden. In der Summe eine Kulturgeschichte von der Belle Époque bis in unsere globalisierte Postmoderne – aus der Perspektive eines schmalen Streifens Stoff.

Von Hans-Michael Koetzle
Der Autor lebt als Fotohistoriker, freier Kurator und Publizist in München.