Lupe
Neven Allgeier – world so crazy can’t be real
Neven Allgeier - Environment, 2019 / Yury Belyavsky, 2022

Ausstellung

Neven Allgeier – world so crazy can’t be real

Kuratiert von Asta von Mandelsloh

Fr, 10.02.2023 –
Fr, 17.03.2023

Grisebach
Bilker Straße 4-6
40213 Düsseldorf

Ausstellung

10. Februar bis 17. März 2023
Mo bis Fr geöffnet von 10 bis 18 Uhr

Opening am 9. Februar 2023 von 18 bis 21 Uhr
Bilker Str. 4-6, 40213 Düsseldorf

Kontakt:
Sophia von Westerholt

 

Über die Ausstellung

Wenn Neven Allgeiers Fotografien sprechen könnten, würden sie ihre Geschichten wohl mit „Es war einmal“ beginnen. Aus seinen Porträts blicken verträumte Gesichter, tiefstehende Sonnen tauchen die Landschaften in einen romantischen Lichtschleier. Doch bei genauerer Betrachtung steht das „happily ever after“ nicht länger in Aussicht.

Märchen erzählen gewöhnlich von Magie und Heldenfiguren, die aus ihren wunderlichen Erfahrungen Lehren ziehen. Auf ähnliche Weise meinen wir im Wechselspiel der fünfzehn Fotografien von Allgeier beobachten zu können, wie die Porträtierten auf ihre benachbarten Umweltaufnahmen reagieren. Wobei Reaktion auch Resignation bedeuten kann: Allgeiers erste Einzelausstellung versammelt eine Auswahl an Fotografien aus seiner zweiten Publikation „Fading Temples“ (2022, Distanz Verlag). Es sind Bilder einer Gegenwart, die von Vergänglichkeit, einem subversiven Leben, von Leere und Verfall erzählen. Der erste fabelhafte Eindruck seiner Bilder steht stets am Kipppunkt zur Dystopie.

Als Kind der Neunziger wuchs Allgeier in einer Welt auf, in der Kinder ihre Tamagotchis fütterten, Boybands die Charts erklommen und neonfarbenes Augen-Make-up in Mode war. Die jungen Menschen in seinen Bildern machen sich diese Elemente wieder zu eigen. Jedoch betrachten Yulya, Brenda, Mara, Yury und Masha in ihrer Abgeklärtheit die Verheißungen der Jahrtausendwende vermutlich als verlorene Utopien. Grenzenlose Freiheit, Fortschritt und Unbeschwertheit klingen nach Provokationen für eine Generation, die in einem Zustand zunehmender Kriege und Krisen heranwächst. Auf seinen Reisen nach Moskau und Tiflis, zuhause in Wien und Frankfurt oder zu Besuch in Düsseldorf erhält Allgeier intime Einblicke in Szenen und Subkulturen. Seine Porträts sind reich an gegenwärtigen ästhetischen Codes, ob hinsichtlich der fotografischen Stilmittel oder der modischen Trends.

Eine verklärte Sehnsucht nach dieser Zeit, in der „Wetter noch nicht Klima war", paart sich in Allgeiers Fotoserie mit Natur und städtischer Kulisse, an deren Goldschimmer der Verfall kratzt. So schwebt eine überdimensionale Weltkugel, die an Lack und Farbe verliert, über dem in die Jahre gekommenen Vergnügungspark „Excalibur City“. In den Neunzigern traf hier noch der Spaßtourismus auf die Wiener Schickeria, von Falko bis Samantha Fox frönten sie alle den Verlockungen der zollfreien Handelszone zwischen Österreich und Tschechien. Der Globus mit der Aufschrift „The World Is Yours“ ist eine Hommage an den Filmklassiker „Scarface“ (1986), in dem Al Pacino den Ausspruch zur Losung einer Ära machte, die zwar von Größenwahn geprägt war, aber einer rückblickenden Realitätsprüfung kaum standhält. Bei so viel Symbolkraft möchte man sich vor lauter Weltschmerz gleich unter der Love Decke auf dem benachbarten Bildmotiv zusammenrollen.

Ähnlich melancholisch trifft es auch Masha in der Ausstellung. Ihr geschminktes Gesicht wird von einer moosbedeckten Strandlandschaft in Indonesien und einem Eisblock in Island eingerahmt, der nach Jahrtausenden seinem Ende entgegenschmilzt. Die sanften Farbverläufe greifen sich formal wie allegorisch in dem Trio auf. Der Naturschwund nimmt im glitzernden Lichtspiel beinahe festliche Züge an. Diese Spannung zwischen Verheißung und Untergang ist kaum auszuhalten. Man kann Natur nicht länger nur ästhetisch genießen, stellt der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich in „Fading Temples“ fest. Bald schon holen einen die bevorstehenden Katastrophen ein, die aus unserem maßlosen Umgang mit Umwelt und Ressourcen folgen.

Diese Vorahnung, die heimlich das Zauberhafte der Bilder stört, vermittelt die leicht entrückte Perspektive von Allgeiers Bildern: Die schiefen Horizonte ziehen einem den Boden unter den Füßen weg. Wird die anfängliche Vermutung erst einmal zur Erkenntnis, schlägt sie brutal in diese schöne Gegenwartsästhetik ein: ertrinkende Gänseblümchen, schmelzende Eisblöcke auf schwarzem Lavastrand, von Gespinsten befallene Bäume am Rhein. Nur langsam erwacht die Welt aus dem Märchen, das wohl in den Neunzigern seinen Höhepunkt erreicht hat. In Allgeiers zeitgenössischer Bildsprache fällt es dystopisch glitzernd in sich zusammen – so schrecklich ‚schön‘ kann das Ende der Welt sein.

Asta von Mandelsloh

 

Über den Künstler

Neven Allgeier (*1986) lebt zwischen Frankfurt/Main und Wien. Zuletzt publizierte er zwei Fotobücher beim Distanz Verlag. „Porträts“ (2021) bildet eine neue Generation von Künstler*innen ab, unter ihnen sind Studierende der Klasse Gursky an der Kunstakademie Düsseldorf. Das zweite Fotobuch „Fading Temples“ (2022) bringt Porträts mit Environments zusammen und bildet die Vorlage für seine Einzelausstellung „world so crazy can’t be real“. Allgeiers Arbeiten erscheinen regelmäßig in Medien wie SPIKE, Art Quarterly, i-D Magazine und dem ZEIT Magazin und wurden u. a. in dem Museum Angewandte Kunst Frankfurt und dem Bonner Kunstverein ausgestellt. 

 

Highlights

 

Neven Allgeier - Environment, 2019

Neven Allgeier - Yury Belyavsky, 2022