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Caspar David Friedrich

Winterauktionen 2023

„… um das zu sein, was ich bin“.

Caspar David Friedrichs „Karlsruher Skizzenbuch“

von Anna Ahrens

Nur wenige deutsche Künstler haben so tiefgreifend und nachhaltig auf die Kunst bis in unsere Tage gewirkt wie der große Romantiker Caspar David Friedrich. Als kompromissloser Erneuerer der deutschen Landschaftsmalerei ist Friedrich eine Schlüsselfigur des romantischen Aufbruchs in Europa, mit dem sich die Zeitenwende hin zur Moderne ankündigt, ja radikal manifestiert.

Friedrichs intensives Einfühlen in die Wirklichkeit der (nord-)deutschen Landschaft basiert auf einem systematischen Studium der Natur, das er in seinen Bildern in eine transzendierende Metaphorik überführt. Friedrich ist der Erfinder der Symbollandschaft. Seine Gedankenbilder kreisen um Zeit und Raum überdauernde Fragen nach der Bestimmtheit des Menschen im Leben wie nach dem Tod und seiner Beziehung zur Natur. Friedrichs „Seelen-Landschaften“ sprechen unsere intimsten Empfindungen an –
und weisen dabei konsequent auf uns selbst zurück.

In der Zeichnung liegt der Ursprungsgedanke eines Künstlers für ein Bild. Das mag in besonderer Weise auf Caspar David Friedrich zutreffen. Und gerade für jene Skizzen gelten, die in der Natur entstanden sind. Denn das Zeichnen außerhalb des geschützten Ateliers – zumal als einsamer Wanderer in den wetterlaunigen Gegenden Norddeutschlands – ist ein kognitiv-meditativer, aber auch physisch unmittelbar erlebter Vorgang, dem Friedrich mit konzentrierter Aufmerksamkeit begegnet. Hat er ein Naturmotiv für sich gefunden, sucht er sich, so man weiß, einen Platz zum Sitzen auf dem Erdboden. Er nimmt ein Blatt Papier oder sein Skizzenbuch sowie die Bleistifte aus der Tasche seines Reisemantels und tritt mit dem gewählten Naturvorbild in Dialog. Friedrich mag sich – als Mensch wie als Künstler – in diesen Momenten selbst nahe gewesen sein: „Ich muß mich dem hingeben, was mich umgibt, mich vereinen mit meinen Wolken und Felsen, um das zu sein, was ich bin“ (Caspar David Friedrich 1821 / Hinz 1974, S. 227).

Das „Karlsruher Skizzenbuch“, eines von nur sechs gebundenen Skizzenbüchern, die sich bis heute erhalten haben, führt uns genau dahin: zu dem Moment des Zeichens, in dem Friedrich sich mit der Natur „vereint“. Es ist der Moment, in dem seine Bilder entstehen.

Von Mitte April bis Anfang Juni 1804 steckt Friedrich dieses Skizzenbuch immer wieder in seinen legendären Reisemantel – Friedrich trug diesen geliebten Mantel regelmäßig auch zum Malen in seinem Atelier (Abb. 18) –, um zeichnend die Dresdner Umgebung zu durchstreifen. Es ist unendlich wertvoll, dass sein Künstlerfreund Georg Friedrich Kersting und dessen Nachfahren es bis heute so achtsam bewahrt haben. Denn dieses Skizzenbuch schenkt uns intimste Einblicke in die Gedankenwelt eines Jahrhundertkünstlers auf seinem Weg zum Bild: Einzelmotive, die als vertraute Protagonisten immer wieder durch seine berühmten Gemälde wandern, aber auch Motivanordnungen, die uns assoziativ bewegen, weil sie weit über seine Zeit hinaus bis in unsere Gegenwart weisen.

Im Herbst 1798 kommt Friedrich mit 24 Jahren nach Dresden – als Suchender. Einen Ausweg aus den Konventionen des auslaufenden 18. Jahrhunderts, weg vom vorherrschenden Rationalismus der Aufklärung und der Klassik, hatte er auch während seines Studiums an der Kopenhagener Akademie noch nicht gefunden. Begegnungen mit jungen „Feuerköpfen“ (Neidhardt 1976) wie dem „Konzeptkünstler“ Philipp Otto Runge – neben Friedrich der bedeutendste deutsche Romantiker –, dem Schriftsteller Ludwig Tieck wie auch dem dichtenden Pfarrer aus Pommern, Ludwig Gotthard Kosegarten, bringen entscheidende Anstöße für die inhaltliche Konzeption seiner Kunst. Das eigentlich Wesentliche für Friedrich aber ist das intensive Erleben und Zeichnen in der Natur.

Zwischen 1798/1802, als Friedrich sich an der Elbe niederlässt, und 1806/08 entwickelt der oft in sich gekehrte Künstler über das genaue Beobachten und Skizzieren unter freiem Himmel eine ganz eigene, auf subjektivem Empfinden beruhende radikal neue Bildform, die sein gesamtes Schaffen bestimmen wird. Konsequent geschieht dies zunächst im Medium der Zeichnung. In seinem ersten Hauptwerk, „Hünengrab am Meer“ (Abb. 1), einer Sepia aus dem Jahre 1806/07, ist Friedrichs symbolhafte Formensprache weitgehend ausgebildet. Erst jetzt, mit 33 Jahren, tritt er auch mit seinen ersten Ölbildern an die Öffentlichkeit.

Das „Hünengrab im Schnee“ (Abb. 2) – eine Weiterentwicklung der oben genannten Sepia – ist eines von Friedrichs frühesten Gemälden. Im Zentrum stehen drei würdige Eichen, die bereits mehrere Menschenalter durchlebt haben und eine Gruppe von drei weiteren, heranwachsenden Bäumen im rechten Hintergrund begleiten und spiegeln. Mindestens drei dieser insgesamt sechs Bäume hat Friedrich dem „Karlsruher Skizzenbuch“ entnommen: Die große alte Eiche im Vordergrund links entspricht der berühmten Eiche auf Skizzenbuchseite 9 (Abb. 6). Friedrich hat diese Zeichnung mehrfach verwendet – prominent etwa auch in dem Hauptwerk „Abtei im Eichwald“ (Abb. 3 ), dem Gegenstück zum „Mönch am Meer“, aus dem Jahr 1809/10 (hier die Eiche rechts der Ruine) sowie in dem (im Krieg zerstörten) Großformat „Klosterfriedhof im Schnee“ aus dem Jahr 1817/19 (Abb. 4), wo Friedrich die Eiche im Vordergrund rechts ebenfalls als Bildprotagonisten einsetzt. Der linke Baum der jüngeren Baumgruppe im rechten Hintergrund vom „Hünengrab im Schnee“ entspricht dem Blatt „Baum“ vom 26. April 1804, Skizzenbuchseite 7 (Abb. 7). Der rechte Baum ebendieser jüngeren Baumgruppe entspricht dem Blatt „Kleiner Baum“ vom 25. April 1804, Skizzenbuchseite 3 (Abb. 8).

Das „Karlsruher Skizzenbuch“ begleitet Friedrich im wahrsten Sinne durch sein ganzes Leben – und führt uns durch seine frühen bis späten Gemälde. Immer wieder nimmt er es zur Hand, um Motive daraus in seine gemalten Bildwelten zu überführen. So verweisen gleich mehrere Seiten auch auf das „Große Gehege bei Dresden“ (Abb. 5) –, Friedrichs Meisterwerk aus dem Jahr 1832. Auf Skizzenbuchseite 28 (Abb. 9) entdecken wir die charakteristischen rhythmischen Baumreihen, die Vorlage für den segelnden Kahn findet sich auf Skizzenbuchseite 24 (Abb. 10), die Gesamtanlage für das berühmte Gemälde ist 1804 bereits vorbereitet auf Skizzenbuchseite 37 und 38 (Abb. 11 und 12).

Das „Karlsruher Skizzenbuch“ führt eindrucksvoll vor Augen, welch zentrale Rolle die auf seinen Wanderungen aufgenommenen, unmittelbaren Natureindrücke auf Friedrichs Weg zum Bild spielen. Die notwendige Voraussetzung liegt in der durchweg hohen Qualität seiner Zeichnungen. Friedrichs Naturstudien spiegeln die Überzeugung des Künstlers, „dass jeder Gegenstand, und sei er noch so gering, unter den Bedingungen seiner Erscheinung wiedergegeben werden müsse“ (Werner Busch, Friedrich 2021, S. 21). Das betrifft nicht nur die Botanik, sondern auch die Beschaffenheit von Gebäuden und das genaue Erfassen ferner Silhouetten, Ansichten von Landschaftsausschnitten, Horizonten, Wolken, Vögeln im Flug. In seinen auf Umrisslinien konzentrierten Naturaufnahmen sind das fokussierte Sehen und die Beobachtung der Atmosphäre, Licht- und Schattenwirkungen erlebnisgetreu wiedergegeben und zugleich ihrer Idee nach in die für Friedrich so charakteristische Zeichensprache übersetzt. Es ist diese vorbehaltlose und genaue Wiedergabe eines Naturvorbildes, das sich eng mit Friedrichs künstlerischem Selbstverständnis verwebt – und Ausdruck seines tief empfundenen Respektes vor der Schöpfung selbst, als deren Teil er sich verstand.